Über die Grenze

Dogubeyazit – Marand

Nach zwei wundervollen Monaten in der Türkei mussten wir uns endlich verabschieden. Wir waren uns sicher, dass wir die Türkei vermissen würden, aber auf der anderen Seite waren wir auch bereit für ein neues Land, insbesondere nach unseren Abenteuern im Wilden Osten der Türkei. Wir verließen Dogubeyazit, um die letzten 30km bis zur Grenze zu fahren, vorbei am schneebedeckten Berg Ararat. Es gab dort auch ein Schild zur Arche Noah, aber wir hatten gehört, dass es nur ein Stein ist, der wie die Arche geformt ist. Das klang nicht so vielversprechend, und es war auch ein 10km Umweg und bergauf – nein danke!

Kurz vor der Grenze zog Frederike sich um. Ihr iranisches Outfit bestand aus einem leichten Baumwoll-Mantel und einem Buff, den sie wie eine Balaklava trug, um ihr Haar zu bedecken.

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Dann fuhren wir an einer Schlange von Lastern vorbei, die über 5km lang war. Es waren hauptsächlich türkische und iranische Laster, die darauf warteten, die Grenze zu überqueren. Aus den gelangweilten Gesichtern der Fahrer schlossen wir, dass manche schon sehr lange gewartet hatten.

An der Grenze gab es eine Überraschung: Plötzlich erschien Jay! Wir hatten Jay ein paar Tage vorher in Agri getroffen, und er sagte dass er uns auf dem Weg zur Grenze überholt hatte. Er hatte dort auf uns gewartet, um sicherzustellen, dass wir ohne Probleme durchkamen (er ist Iraner). Allerdings sagte er, er würde alleine durchgehen, da er glaubte, dass es ihm Probleme mit der Geheimpolizei bereiten könnte, wenn er mit uns gesehen wurde.

Sobald wir auf der iranischen Seite der Grenze ankamen, wurden wir von einigen extrem freundlichen Grenzbeamten begrüßt. Einer von ihnen steckte uns sogar die Telefonnummer eines Freundes in Tabriz zu, als wir erwähnten, dass wir die Stadt besuchen würden. Wir wurden auch von einem freundlichen Tourismusbeamten ausgefragt, der ein paar Details über unsere Route aufschrieb und uns eine Landkarte von Iran gab. Als wir auf unsere Pässe warteten, was nur ca 10 Minuten dauerte, taten wir erstmal so, als ob wir Jay nicht kennen würden. Allerdings ist er sehr freundlich und konnte nicht widerstehen, zu uns zu kommen und zu fragen, ob alles ok war. Wir hatten vereinbart, ihn hinter der Grenze zu treffen, aber wir warteten dort eine ganze Weile bis Jay endlich kam. Er sah aufgerührt aus und erzählte, dass er eine Stunde lang von der Geheimpolizei festgehalten worden war. Sie fragten ihn, wer wir waren und woher er uns kannte, und warum er so oft ins Ausland reiste. Dann drohten sie, ihn wieder festzuhalten, wenn er das nächste Mal die Grenze überquerte. Das war das erste Mal, dass uns bewußt wurde, wie vorsichtig wir in Iran sein mussten, um unsere iranischen Freunde nicht in Gefahr zu bringen.  

In einem Teehaus beruhigten wir erstmal Jay’s Nerven. Wir saßen auf einer Plattform, die mit Teppichen und Kissen ausgelegt war. Einige Männer rauchten nebenan Wasserpfeifen. Der Tee wird in Iran anders als in der Türkei serviert: Statt ein Stück Zucker in den Tee zu rühren, legt man es auf die Zunge so dass es schmilzt, wenn man den Tee trinkt.

Anschließend fuhren wir weiter in die erste größere Stadt in Iran, Maku, während Jay mit dem Taxi fuhr. Dort hatten wir wirklich Schwierigkeiten, ein Hotel zu finden, da alle Schilder nur in arabischer Schrift waren. Das war für uns komplett unlesbar, so dass wir nicht mal das Wort “Hotel” identifizieren konnten, und wir fragten mehrere Leute, bis wir das Hotel fanden. Jay war schon da und es war wirklich schön, ein bekanntes Gesicht zu sehen, da die Umgebung uns so fremd war. Die meisten Frauen von Kopf bis Fuß in den Chador gehüllt, der viele Verkehr, die ganzen Benimm-Regeln, Ta’arof, die Geheimpolizei – all das schwirrte uns im Kopf herum.

Jay wollte abends einen Bus nach Tabriz nehmen und hatte noch ein paar Stunden Zeit. Das Hotel war einfach, aber sehr günstig, vor allem nachdem Jay für uns einen guten Preis erhandelt hatte. Nach einem Spaziergang durch den Ort gingen wir essen. Das Essen war sehr lecker – Gerstensuppe, Hühnchen in Tomatensoße, Reis mit Granatapfel dekoriert, und Yoghurt. Insgesamt kosstete es nur $11 für uns drei zusammen. Gute Neuigkeiten, Iran schien viel billiger als die Türkei zu sein, was unserem Budget guttun würde (wir fühlten immer noch den Effekt von unserer teuren Zeit in Istanbul). 

Wir hatten drei Tage geplant, um von Maku nach Tabriz zu fahren, und wir wollten erstmal in Hotels übernachten. Dieses neue Land wollten wir erstmal kennenlernen, bevor wir wieder wild zelteten. An unserem ersten Tag war das Wetter bewölkt, kalt, und es regnete. Die Landschaft war öde und wir hatten Probleme, uns an den verrückten Verkehr zu gewöhnen.

Die Straße war recht klein, mit einem schmalen Seitenstreifen. Es gab sehr viel Verkehr, und auch viele Busse und Laster, und wir sahen so einige gefährliche Überholmaneuver. Manchmal überholte ein Bus einen Laster, und gleichzeitig überholte ein Auto den Bus, indem es auf dem gegenüberliegenden Seitenstreifen fuhr. Gleichzeitig gab es natürlich auch Fahrzeuge in der anderen Richtung, so dass es oft sehr knapp wurde. Zum Glück gaben uns die meisten Fahrzeuge genug Platz, aber wir mussten uns doch immer sehr auf den Verkehr um uns herum konzentrieren. Auch wenn die Landschaft mal interessanter wurde, konnten wir das nicht genießen, da unsere Aufmerksamkeit auf die Straße gerichtet war. Dazu kam, dass die meisten Fahrzeuge sehr alt sind (wie z.B. die 60ger Jahre Mercedes-Busse!), und die Luft daher so mit Abgasen verschmutzt ist, dass unsere Augen und Nasen wehtaten.

Die Dörfer sahen viel ärmer aus als in der Türkei, und auch nicht so farbenfroh. Viele Dörfer hatten nicht mal eine Moschee, und es gab nicht viel Landwirtschaft. Es war schwer zu glauben, dass Iran die zweitgrößten Öl- und Gasreserven der Welt hat, und nichts von diesem potenziellen Reichtum in den Dörfern ankommt. Wir kamen sogar an einem Schild vorbei, auf dem eine Tankstelle und eine Rose abgebildet waren, und dazu der Slogan “Wir werden siegen” (auf Englisch, wahrscheinlich so dass wir Touristen es auch verstehen konnten!). Es war ziemlich ironisch, denn überall waren verlassene Fabriken zu sehen. Es gibt auch nicht viele Tankstellen in Iran, und die Hälfte davon scheint geschlossen zu sein. Vor denen, die noch offen sind, gibt es normalerweise eine riesige Schlange von 40-50 Autos, die für Benzin anstehen. Wir wissen nicht, ob das vielleicht der Effekt der Sanktionen ist, da Iran viel raffiniertes Öl von anderen Ländern importiert, aber es war jedenfalls ein komischer Anblick in so einem ölreichen Land.

Entlang der Straße gab es fast gar nichts – die Wasserstellen, an die wir uns in der Türkei so gewöhnt hatten, gab es hier nicht, und es gab auch keine Läden oder Restaurants, keine Moscheen, und natürlich auch keine Tankstellen, an denen wir hätten anhalten können. Wir konnten auch nicht viele der Straßenschilder lesen, da die meisten in Farsi waren, obwohl es ab und zu auch mal ein englisches Schild gab.

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Wir fühlten uns ziemlich niedergeschlagen. Wir vermissten die Türkei, aber wir wussten von anderen Reisenden, dass Iran für sie ein richtiges Highlight war, sicher würde es bald besser werden. Am Nachmittag hielten wir kurz am Straßenrand an – es war kalt und regnete, und wir hatten genug davon. Ein Auto kam vorbei und drehte um. Es hielt hinter uns an und zwei junge Männer stiegen aus. Sie hatten eine Thermoskanne mit Tee dabei, den sie uns anboten. Der heiße Tee war genau das, was wir brauchten um uns wieder aufzuheitern.

Kurz darauf kamen wir in der Kleinstadt an, in der wir übernachten wollten, Qara Ziaeddin. Als wir nach einem Hotel fragten, bedeutete uns ein freundlicher älterer Mann auf einem Motorrad, ihm zu folgen. Wir fuhren durch die Stadt und dann durch ein paar kleine Straßen bevor wir bei einem Teehaus anhielten. Moment mal, das ist doch nur ein Teehaus, kein Hotel! Sie erklärten uns aber, dass der Besitzer auch zwei Zimmer über dem Teehaus vermietete, und es sollte nur $10 kosten. Bingo! Unser Zimmer war einfach, aber okay, und der Besitzer lud uns bald auf einen Tee ein. Sein Name war Jalil und er sprach gut Englisch. Das Teehaus war sehr beliebt bei älteren Männern, die dort den Nachmittag damit verbrachten, Wasserpfeife zu rauchen und Tee zu trinken. Frederike war mal wieder die einzige Frau, aber das schien kein Problem zu sein. Als wir Jalil fragten, wo wir etwas zu essen einkaufen könnten, wies er seinen 12-jährigen Sohn Hadi an, uns den Ort zu zeigen.

Zusammen mit Hadi entdeckten wir, wie man in Iran einkauft. Es gibt normalerweise keine Supermärkte, sondern viele kleine Läden, die sich auf bestimmte Dinge spezialisieren. Als erstes gingen wir zu einem Laden, wo wir Kekse und Milch kauften. Dann gingen wir zum Obst- und Gemüsemann, wo wir Birnen und Tomaten kauften. Zum Schluss besuchten wir die Bäckerei. Das war ein fantastischer Ort: Mehrere Männer kneteten und formten dort Teigbälle, die dann zu einem flachen Oval geformt und in einen großen Holzofen gelegt wurden. Unser Brot kam aus dem Ofen und wurde sofort auf einen kleinen Tisch mit einer Bürste gelegt, wo Hadi dann die Kohlereste abbürstete. Zurück gingen wir durch die unbeleuchteten Straßen, wo ein paar Jungen Fußball spielten und Frauen im schwarzen Chador von Haus zu Haus flitzten. Iran scheint ein sehr sicheres Land zu sein, und die Eltern scheinen sich nicht zu sehr um ihre Kinder zu sorgen, auch wenn sie nachts draußen herumlaufen.

Jalil lud uns ein, später zu seinem Haus zu kommen, um seine Familie zu treffen. Als wir ankamen, wurden wir durch einen Innenhof ins Wohnzimmer geführt. Stühle waren an der Wand entlang aufgereiht, aber Jalil’s 80-jährige Mutter saß auf dem Boden und schnippelte einen riesigen Berg Sellerie. Frederike wurde eingeladen, ihr Kopftuch abzunehmen, es wurden Tee und Snacks serviert, und dann wurde der Fernseher angestellt. Mit Staunen sahen wir dann den deutschen ZDF Kanal, den persischen Kanal des BBC, und einige iranische Programme, die von den USA ausgestrahlt wurden. Anscheinend haben die meisten Iraner Satellitenschüsseln (illegalerweise natürlich), und sie sehen am liebsten internationale Programme.

Iraner sind sehr neugierige Leute, und sie stellen uns viele Fragen darüber, wie die Dinge in unseren Heimatländern sind. Viele Fragen beziehen sich auf Geld und Kosten, und wir traten ins Fettnäpfchen als Jalil uns fragte, wieviel wir in unseren Berufen verdienten (das ist hier eine ganz normale Frage). Wir untertrieben etwas, so dass der Unterschied zwischen unseren und seinem Einkommen nicht so groß sein würde. Jalil war ziemlich überrascht, dass er anscheinend mehr als wir verdiente! Ups.

Später spielten Hadi und seine Schwester mit unseren Fahrradhelmen herum, bevor sie ins Bett gingen.

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Am nächsten Morgen hatten wir positivere Gefühle über Iran. Der Himmel war blau, die Landschaft schön bergig, und der Verkehr nicht ganz so schlimm. Wir hatten eine recht langen Tag geplant, da wir zur nächsten Stadt, Marand, fahren wollten, die über 100km weit entfernt war. Das Radfahren war recht leicht, aber wir mussten uns immer noch sehr auf den Verkehr konzentrieren. Am frühen Nachmittag hielten wir bei einer Picknickbank an, um etwas zu essen. Nebenan war ein Krankenwagen des Roten Halbmonds, und bald kam der Sanitäter vorbei, um sich mit uns zu unterhalten. Sein Englisch war sehr gut, und er war wirklich nett. Er hatte eine Ingenieurs-Karriere aufgegeben, um ein Sanitäter zu werden. Leider war er etwas mitgenommen, da es am Morgen einen schweren Unfall gegeben hatten. Es war ein Frontalcrash, und einer der Fahrer war gestorben. Wir blieben für eine Stunde oder so bevor wir weiter nach Marand fuhren.

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