Hippies, Pilger und der gefürchtete Delhi Belly

Patnem Beach, Goa – Sullia, Karnataka

“Guten Morgen, Ma’am!”

“Gute Reise!”

“Wie ist Ihr Name, Sir?”

“Welches Land?”

Dies sind die Rufe von vorbeikommenden Motorrädern, Schulkindern, Jeepfahrern und Ladenbesitzern, die uns tagsüber begleiten. Die Leute in diesem Teil von Indien sind überschwänglich und fröhlich, und es gibt nie einen langweiligen Moment.

Um Patnem Beach und Goa zu verlassen folgten wir einer schönen kurvigen Straße in den nächsten Staat, Karnataka. Den ganzen Tag ging es hoch und wieder hinunter, wobei wir an vielen leuchtend grünen Reisfeldern und Fischern in Kanus vorbeikamen, und von den Hügeln aus das Arabische Meer unter uns schimmern sahen.

Fischer   Reisernte

Wir fühlten uns überraschend gut auf den Fahrrädern und schafften 100km recht leicht. Es wäre schön zu glauben, dass unsere extrem gute Fitness dafür verantwortlich wäre. Allerdings ist es eher wahrscheinlich, dass es der Gewichtsverlust war, da wir unsere Campingausrüstung ja nach Hause geschickt hatten. Wir erhalten auch viel Energie durch das gute Essen, das überall zu finden ist, und müssen daher auch weniger Nahrungsmittel mit uns tragen. Auf der anderen Seite mussten wir uns wieder daran gewöhnen, in der Hitze zu radeln, da es hier viel heißer als noch in Mumbai ist, und mit einer hohen Luftfeuchtigkeit von ca 80%. Wir sollten uns allerdings nicht zu sehr beklagen, denn mit 32°C ist es immer noch 15°C kälter als die Temperaturen, in denen wir im Sommer in Osteuropa und der Türkei gefahren sind.

Als wir im am Meer gelegenen Dorf Gokarna ankamen, fanden wir schnell ein günstiges Hotelzimmer für nur €4. Es war aber wie eine Gefängniszelle – dunkel, siffig und mit steinharten Matratzen. Gokarna ist ein heiliges Dorf und war voller indischer Pilger und europäischer und amerikanischer Hippies. Die Pilger besuchten die Tempel und gesellten sich zu den abendlichen Prozessionen, wobei die Statue einer Göttin auf einem Wagen durch das Dorf gefahren wurde, während eine Gruppe wild bemalter junger Männer sang, trommelte und tanzte. Die Tempel selber waren zwar nicht für uns Touristen zugänglich, aber wir konnten das Tempelbecken besuchen, in dem sich Mitglieder der Brahmin-Priester-Kaste auf den Stufen neben den Waschfrauen wuschen.

Tempelbecken in Gokarna  "Ratha" für religiöse Prozessionen

Gokarna fühlte sich sehr spirituell an, und wir trafen eine Frau aus Pune, die aufgeregt war, das Ende der Fastenperiode ihrer Tochter in einem der Tempel zu feiern. Kühe wanderten herum, wo auch immer ihre spirituelle Natur sie führte, und einmal sahen wir, wie ein Mann einer Kuh einige Bananen fütterte und sich dann herunterbeugte, um seine Stirn mit dem Kuhschwanz zu berühren. Die meisten Kühe (auch die, die nur auf der Hauptstraße herumliegen oder durch den Müll wühlen) haben ein rotes Drittes Auge auf ihre Stirnen gemalt. Für uns ist es sehr seltsam, aber auch irgendwie gewinnend, ein Tier, das so “normal” für uns ist, zu verehren.

Pilgerfrauen   Bettler in Gokarna

Die meisten Männer trugen nur einen Lungi (eine Art Lendenschurz, der wie ein kleiner Rock aussieht), und sonst nichts. Das war ok für uns, aber wir fanden es schon etwas seltsam, dass einige der Touristen genauso angezogen waren und barfuß mit nur einem Lendenschurz bekleidet herumliefen… Wir waren wirklich in Hippieland angekommen. Insgesamt hatten überdurchschnittlich viele Männer Dreadlocks, und fast alle westliche Touristen trugen indische Kleidung, so dass wir uns mit unseren Khakihosen und Fahrradschuhen etwas als Außenseiter fühlten.

Wandbemalung in Gokarna Blumenverkäufer

Wir waren allerdings nicht die einzigen, denn am nächsten Morgen trafen wir zwei andere Radfahrer. Rick und Erik waren aus Kalifornien und auf einer Indienreise, genau wie Klemens, ein deutscher Radfahrer, mit dem wir ein paar Tage zuvor zu Mittag gegessen hatten. Von einigen Einheimischen erfuhren wir, dass sie recht häufig Tourenradfahrer in der Gegend sahen. Gut zu wissen, dass wir nicht die einzigen Verrückten sind!

Rick und Erik empfohlen uns einen Wasserfall, als wir am nächsten Tag weiterfuhren, und Guy tauchte für eine kurze Abkühlung unter. Als Frederike an der Reihe war, folgten ihr drei aufgeregte Teenager, die wohl auf eine nasse T-Shirt-Show hofften. Sie waren ziemlich enttäuscht als Frederike sich gegen das Schwimmen entschied und stattdessen nur ein Eis aß! Am Nachmittag trinken wir oft in einem kleinen Café einen Chai, wobei wir manchmal die Café-Besitzer während ihres Nickerchens erwischen. Etwas schläfrig machen sie uns dennoch einen Tee und setzen sich für eine Unterhaltung und das Studium unserer Landkarte dazu.

In einem kleinen Ort an der Küste fanden wir ein gutes Hotel für €7, komplett mit Bad und Fernseher. Dies war gut, da Frederike sich plötzlich sehr unwohl fühlte und den Rest der Nacht im Bad verbrachte, mit den typischen Symptomen des gefürchteten “Delhi Belly”. Zum Glück erholte sie sich schnell, aber wir blieben einen Tag länger, so dass sie wieder an Kraft gewinnen konnte. Die Hotelbesitzer waren sehr nett, brachten uns Tee auf’s Zimmer und empfahlen milde Gerichte für sie.

Wenn es um Hygiene geht, ist Indien ziemlich im Hintertreffen. Die Leute benutzen ihre Hände, um im Bad ihren Hintern abzuwischen, aber an den meisten Waschbecken gibt es nicht mal Seife. Dann wird mit den Händen gegessen, da Besteck normalerweise nicht benutzt wird. In der Öffentlichkeit Spucken ist sehr üblich, und man muss vorsichtig mit Wasser aus dem Hahn sein. In Restaurant-Küchen sehen wir manchmal Leute auf dem Boden sitzen und dort Gemüse schneiden. Viele Restaurants haben keinen Kühlschrank. Es ist kein Wunder, dass die meisten Reisenden krank werden. Auch wenn man nur vegetarisch isst und sich andauernd die Hände wäscht, ist es schwer zu vermeiden.

Als Frederike wieder in Form war, ging es weiter in Richtung Süden, diesmal für einen 90km Tag nach Udipi, bekannt in Indien für die Erfindung der Masala Dosa, einer Art Linsenpfannkuchen, der mit Kartoffelcurry gefüllt ist. Wir lieben es, morgens radzufahren, wenn die Busse und Laster noch schlafen und die Schulkinder auf dem Weg zur Schule sind. Bis zu 10 Kinder quetschten sich in Rickschas, die eigentlich nur für 2 gebaut waren, wobei sie sich gegenseitig auf dem Schoß saßen und alle wie wild winkten, als wir vorbeikamen. Schuljungen in ihren sauberen Schuluniformen machten Wettrennen mit uns auf ihren rostigen Fahrrädern, die jedem Kind in Karnataka umsonst von der Regierung zur Verfügung gestellt werden, und Gruppen von Mädchen mit Rattenschwänzchen und Stapeln von Schulbüchern kicherten und winkten.

Ein Mann auf einem Motorrad rief “Guckt mal meinen Fisch an!” und zeigte stolz auf den Gepäckträger seines Motorrads, wo ein 80cm langer Fisch festgeschnürt war. Fischen ist in dieser Gegend sehr üblich, und wir sehen oft Frauen in farbenfrohen Saris, die schwere Körbe voller Fische auf ihren Köpfen balancieren. Sie sind meist auf dem Weg zum Markt, wo sie ihre Fische liebevoll auf alten Zeitungen auf dem staubigen Boden ausbreiten.

Fischerboot   Hölzerne Fischerboote

Wir hatten uns darum Sorgen gemacht, unsere Fahrräder außer Sichtweite zu lassen, wenn wir in einem Restaurant waren, aber inzwischen verstehen wir die Kultur besser und sind ziemlich entspannt. Die Leute sind nur neugierig, und normalerweise sind sie ziemlich respektvoll und halten einen Meter Abstand von den Fahrrädern, während sie die technischen Details untereinander diskutieren. Manchmal übermannt sie die Neugier und sie probieren die Bremsen oder die Klingeln aus, worüber wir immer lachen müssen, wenn wir die Fahrräder nicht sehen können und nur unsere Klingeln hören. Das Gute an unseren Fahrrädern ist, dass es ziemlich schwer ist, etwas kaputtzumachen. Auch wenn die Leute an der Gangschaltung herumspielen ist es kein Problem, da wir die Rohloff-Nabe haben und daher auch im Stehen Gänge schalten können. Oft bemerken die Leute die Gangschaltung nicht mal, da sie an Eingangräder gewöhnt sind. Der faszinierendste Teil unserer Fahrräder ist überraschenderweise unsere Wasserflaschen, und wir werden immer wieder gefragt, wozu diese da sind.

Tagsüber kaufen wir normalerweise ein paar Bananen von einem kleinen hölzernen Stand am Straßenrand. Ganze Bananenstauden hängen dort vom Dach, und sie schneiden einfach so viele Bananen ab, wie wir haben möchten. Die Bananen sind sehr klein und sehen manchmal nicht so gut aus, aber sie sind immer süß und reif, und sind auch gut zu transportieren, da sie nicht so leicht zerquetschen. Bisher sind wir außerhalb der Touristengegenden immer recht ehrlich behandelt worden und glauben, dass wir meistens den richtigen Preis zahlen, ob es nun um ein Paket Kekse, ein paar Bananen, eine Mahlzeit im Restaurant oder ein Hotelzimmer geht.

Als wir in Udipi ankamen, wurde uns klar, dass zwar viele kleine Restaurants ein “Hotel” Schild aushängen haben, wir aber oft nur verwirrte Blicke ernten, wenn wir nach einem Zimmer fragen. Aus irgendeinem Grund haben sich die Leute hier wohl angewöhnt, Restaurants “Hotels” zu nennen. In Udipi gingen wir zu 5 verschiedenen “Hotels”, bis wir endlich ein echtes Hotel fanden.

Haben Sie ein Zimmer frei?

Beim Abendessen sahen wir, dass auf dem Restaurantmenü “Toast mit Butter und Marmelade” zu finden war. Dies waren gute Neuigkeiten, denn wir konnten uns einfach nicht an das indische Frühstück gewöhnen, das normalerweise aus etwas Fritiertem mit Curry besteht. Am nächsten Morgen freuten wir uns schon auf unser kontinentales Frühstück, doch als wir im Restaurant ankamen, wurden wir informiert, dass Toast nicht zum Frühstück serviert werden konnte, sondern nur später am Tag erhältlich war! Die einzigen Optionen waren Idlis (salzige fritierte Reisküchlein) und Masala Dosa (die oben erwähnten Linsenpfannkuchen mit Curry-Füllung). Das war nicht unser ideales Frühstück, und so verließen wir das Restaurant, um Toast zu suchen. Nach 20 Minuten saßen wir in einem anderen Restaurant und aßen Idlis und Masala Dosa…

Udipi ist berühmt für seinen Krischna Tempel, der von Pilgern überall in Indien besucht wird. Wir folgten dem Trommelklang und den Kuhfladen in Richtung Tempel. Dort waren viele aufgeregte Pilger und einige Bettler, die das meiste aus der großzügigen Laune der Pilger machten. Zu Frederike’s Freude mussten Männer den Tempel mit nacktem Oberkörper betreten. Es war ein faszinierender Tempelkomplex, doch wir blieben nicht lange und waren bald auf dem Weg landein nach Karkal.

Krischna-Tempel in Udipi   Statue in Udipi Tempel

Die Küstenstraße war angenehm, wenn auch etwas verkehrsreich, aber wir wollten das hügelige Inland von Karnataka und Kerala erkunden. Bald wurde die Straße viel kleiner und ruhiger, und wir kamen durch Dörfer, wo die Leute nicht so daran gewöhnt waren, Touristen zu sehen. Das Essen war noch günstiger als vorher, und wir zahlten nur €0,60 für ein Mittagessen für uns beide, inclusive zwei Flaschen Cola und eine Flasche Wasser! Unser schönes Hotelzimmer in Karkal kostete nur €7 und hatte sogar Zimmerservice, was wir sofort ausnutzten, indem wir Samosas und Tee bestellten. Plötzlich erlaubte uns unser Budget, mit dem wir uns im Westen nur einen Zeltplatz und Supermarktessen leisten konnten, wie Könige zu leben!

Unsere erste Aufgabe in Karkal war es, unser Frühstück zu planen. Wir wollten kein Kartoffelcurry und fritiertes Zeug mehr essen und beschlossen, unser eigenes Frühstück zu machen. Wir hatten Kaffeepulver, Müsli und Honig, brauchten aber ein paar weitere Zutaten. Brot war recht einfach – in den Läden gab es nur lappriges weißes Brot, so dass wir stattdessen abends ein paar extra Parathas und Chappatis bestellten, die wir zum Frühstück mit Honig aßen. Milch war allerdings komplizierter. Milch wird normalerweise in kleinen Tüten verkauft, die gekühlt werden müssen, da die Milch in dieser Hitze sonst über Nacht schlecht wird. Morgens konnten wir sie auch nicht kaufen, da die Läden meist nicht vor 9 Uhr öffnen. Ultrahocherhitzte Milch ist nicht so üblich, aber nachdem wir bei einigen Läden nachgefragt hatten, empfiehl uns ein Mann, nach der Marke “Goodlife” zu fragen. Er zeigte auf einen anderen Laden, und andere Leute zeigten auf weitere Läden, und nachdem wir bei 5 Läden nachgefragt hatten, wusste jeder im Markt, was wir suchten. Zwei junge Männer auf einem Motorrad fanden am Ende eine kleine Hütte, in der Zahnpasta verkauft wurde, und dort fanden wir eine Packung Goodlife Milch. Das Frühstück war gerettet!

Wir schienen auf einer Art Pilgerstraße zu sein, denn tagsüber sahen wir immer wieder Pilgerautos, und die Pilger übernachteten auch in den gleichen Städten wie wir. Sie reisen normalerweise in Jeeps, die mit orangenen Flaggen, goldenem Lametta und gelben und orangen Blumengirlanden dekoriert sind. Wie uns einige Inder erzählte, waren die meisten Pilger auf dem Weg zu einem alljährlichen Fest beim Sabarimala Tempel. (Leider sind die indischen Nachrichten heute von einem Unfall bei diesem Fest dominiert, bei dem bisher über 100 Leute zu Tode getrampelt worden sind – furchtbar, aber anscheinend ist dies nicht unüblich bei den großen indischen religiösen Festen, die von Hunderttausenden Leuten besucht werden, mit nur wenigen Sicherheitsmaßnahmen).

In Karkal gab es einen kleinen Tempel, und wir sahen zu, wie am Abend ein Mann in einem orangenen Lungi um eine Götterstatue herumtanzte, wobei er eine Handvoll brennender Kerzen wedelte. Energische Musik mit automatisch betätigten Trommeln und hohen kreischenden Geräuschen begleitete die Zeremonie. Um den Tempel herum wurden viele Blumengirlanden in verschiedenen Farben verkauft, und Bettler versuchten ihr Glück.

Bettler in Karkal   Tempel am Straßenrand

Beim Abendessen in einem vegetarischen Restaurant (vegetarisch ist normal, nur einige Restaurants sind nicht-vegetarisch), füllten Pilger die Tische um uns herum. Wir schienen die einzigen Touristen in Karkal zu sein und waren umringt von Männern in Lungis und Sarongs, mit nackten Oberkörpern, die mit weißen und orangen Streifen bemalt waren. Viele Frauen trugen weiße Blumen in ihren Haaren. Es war faszinierend zu sehen, und wir fanden, dass wir ziemlich Glück hatten, dort zu dieser Zeit zu sein.

Über sehr schlechte Straßen fuhren wir nach Puttur weiter. Den ganzen Tag ging es hoch und runter in der intensiven Hitze, wobei wir ständig Schlaglöcher umgehen und uns über Strecken mit Schotter und Sand wagen mussten. Es gab ziemlich viel Verkehr auf der engen Straße, wobei Busse uns entgegenflogen und Jeeps uns in letzter Sekunde überholten. Wir mussten uns wirklich konzentrieren und unsere Augen nie von der Straße und von unseren Spiegeln lassen, jederzeit bereit, abzuspringen. Allerdings war es uns dennoch lieber, auf einem Fahrrad zu sein, so dass wir schnell von der Straße hüpfen können, anstatt in einem Bus oder Taxi den Launen des Fahrers ausgesetzt zu sein.

Am Ende des Tages waren wir erledigt. Wie inzwischen üblich, und ganz anders als in den anderen Ländern, die wir bisher besucht haben, fuhren wir in Puttur direkt zum größten und schönsten Hotel. In diesen kleineren Orten, die nicht touristisch sind, sind diese Hotels fast immer die beste Option. Heute fanden wir ein schönes Zimmer mit Bad, Fernseher und gemütlichen Matratzen für nur €3,50.

Am nächsten Morgen waren wir ziemlich müde und schliefen aus. Wir fühlten die Anstrengungen des vorigen Tages und schafften nur 40km, unterbrochen von einem leckeren Mittagessen, um unseren 9000. Kilometer zu feiern. Wir übernachteten in der Kleinstadt Sullia, wo wir ein Festival vorfanden, wo es auch ein Riesenrad gab. Das Riesenrad war so aufgemotzt, dass es mit Lichtgeschwindigkeit rotierte, sehr zum Vergnügen der Passagiere. Das Gleiche galt für viele der anderen Attraktionen, und sogar das Kinderkarussell fuhr dreimal so schnell wie normal! Wir aßen gebratene Nudeln (chinesisches Essen ist in Indien oft erhältlich), entschieden uns aber gegen das Riesenrad und gingen früh ins Bett, damit wir am nächsten Tag viel Energie hatten, um die 1000 Höhenmeter nach Madikeri zu bewältigen.

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