Erholung in Adelaide
Adelaide
Als das zweite Blech selbstgemachter Kürbisbrötchen aus dem Ofen geholt wurde, fragte Jenny vorsichtig nach:
“Und, wie lange wollt ihr ungefähr hierbleiben?”
Guy aß bereits sein 6. Brötchen und murmelte mit vollem Mund:
“Naja, vielleicht so um die vier Tage, dann sollten wir wohl bereit zur Weiterfahrt sein.”
Niemand sagte etwas. Frederike blickte kurz nach draußen, wo der Wind ums Haus heulte. Sie dachte das gleiche wie alle anderen: Vier Tage, das war doch gar nichts.
Guy’s Schwester Justine kam von Melbourne aus für ein paar Tage zu Besuch, und Paul und Jenny boten netterweise an, dass sie ebenfalls bei ihnen übernachten könnte. Es war fantastisch, sie nach so langer Zeit wiederzusehen.
Obwohl es mitten im Winter war, hatten wir das Glück, einige schöne sonnige Tage zu haben, perfekt für eine Weinprobe. So besuchten wir einige der Lieblings-Weingüter von Paul und Jenny in den Adelaide Hills, inklusive Hahndorf, einem Dorf das von deutschen Lutheranern besiedelt worden war, die 1838 per Schiff von Hamburg eintrafen. Diese frühen Einwanderer begannen die Tradition der Weinerzeugung in den Adelaide Hills und dem Barossa-Tal.
Wir machten auch einen Spaziergang an der Küste und besuchten den Strand-Vorort Glenelg. Obwohl es Winter war, war es fast warm genug für kurze Hosen und T-Shirts, und Kinder spielten sogar bereits im Wasser.
Adelaide ist nicht nur ein guter Ort für Wein, sondern auch für andere landwirtschaftliche Erzeugnisse. Im Central Market wird Adelaide’s Leidenschaft für gutes Essen offensichtlich. Wir bewunderten handgefertigte Seifen, genossen frisch gerösteten Kaffee und kosteten die besten Datteln seit Iran. Am Sonntag Morgen besuchten wir Gepps Cross Market, von dem wir mit einem Kofferraum voller frischem Obst und Gemüse zurückkamen, die wir in großen Mengen gekauft hatten.
Paul und Jenny hatten versprochen, uns nach unserer Tour durch das Outback ein wenig zu mästen, und sie enttäuschten uns nicht. Wir wurden mit solchen Leckereien wie selbstgemachter Pizza, gebratenem Hühnchen, riesigen Töpfen voller Suppe, Curries und Knödeln bombardiert. Fast jeden Morgen gab es einen frisch gebackenen Laib Brot.
Wir durften auch ihr Auto benutzen und nahmen die Gelegenheit wahr, nochmal ins Barossa-Tal zu fahren. Justine mag gerne Wein und genoss die Möglichkeit, die Barossa-Weine mit ihren einheimischen Tropfen von den Bellarine- und Mornington-Regionen zu vergleichen.
Natürlich geht kaum eine Weinprobe ohne einen Kauf zuneige, was für das Budget eines Radfahrers nicht gerade bekömmlich ist. Auch dafür hatte Paul eine Lösung: Er hatte für Guy einen Job arrangiert!
Da Guy bereits seit 15 Monaten kein Büro mehr von innen gesehen hatte, war er etwas besorgt, aber Paul zerstreute bald seine Bedenken und lieh ihm ein paar Klamotten und einen Rasierer. Zur gleichen Zeit meldeten sich ein paar Kunden aus England bei Guy, und Frederike konnte auch an einem Online Marketing Projekt und einer Übersetzung arbeiten. Am Ende unseres Aufenthalts in Adelaide waren unsere Portemonnaies wieder etwas praller gefüllt, was gut war, das wir angefangen hatten, uns etwas Sorgen um unseren Kontostand zu machen.
Nachdem Justine nach Melbourne zurückgekehrt war, zog Paul’s Schwester Melissa vorübergehend ein, da sie einen gebrochenen Fuß hatte und Hilfe mit ihren Mahlzeiten und mit dem Einkaufen brauchte. Paul’s Eltern kamen auch zu Besuch bevor sie in den Urlaub gingen.
Wir trafen auch Jenny’s Eltern Tony und Janet, die in den 1970gern den Hippie Trail nach Europa getourt hatten. Als Paul und Jenny für ein Wochenenden mit Freunden wegfuhren, nahmen sich Tony und Janet unserer an und wir wanderten zusammen auf den Mount Lofty. Dabei sahen wir 17 Koalas (!) und genossen die schöne frühlingshafte Luft.
Die Fahrräder brauchten auch ein wenig Pflege. Wir machten einen Ölwechsel, den wir alle 5000 km für unsere Rohloff-Nabe machen müssen. Unsere Schwalbe Marathon XR Reifen wurden gewechselt, nachdem wir bereits 13,000km (seit Istanbul) auf ihnen gefahren waren. Panaracer hatten uns mit ihrem Händler Bike Sportz in Verbindung gebracht, und dieser hatte uns großzügigerweise neue Panaracer T-Serve Reifen zur Verfügung gestellt. Diese Reifen waren viel leichter als die Marathon’s und würden gut für die relativ glatten Teerstraßen geeignet sein, die wir für den Rest unserer Tour erwarteten.
Weiterhin mussten wir dringend die Reißverschlüsse an Boris, unserem Zelt, reparieren. Mithilfe von Travelling Two’s Bike Touring Survival Guide hatten wir herausgefunden, dass wir nicht die Reißverschlüsse selbst ersetzen mussten, sondern nur die Schieber. Das klang recht einfach, aber nachdem wir mehrere Tage damit verbracht hatten, die richtigen Schieber zu suchen, gaben wir auf. Wir hatten Bastelläden und Outdoorläden kontaktiert, hatten YKK selber angerufen und deren Großhändler besucht, hatten nach australischen Onlineshops gesucht, aber keine Chance: Niemand hatte die Schieber auf Lager, die wir suchten. Am Ende fanden wir eine kurzfristige Lösung indem wir die Schieber mit einer Zange leicht zusammenbogen. Hoffentlich reicht das, bis wir zu Hause sind.
Mit diesem Hintergrund waren wir überrascht zu lesen, dass unsere Freunde Justin und Emma es geschafft hatten einen ähnlichen Reißverschluss für ihr Hilleberg Zelt in einem Markt in Ulan Bator in der Mongolei zu finden! Wenn einer unserer Leser Kontakte in der Reißverschlusswelt hat, wären wir dankbar über Hinweise, wie wir ein paar doppelseitige YKK Spiral-Metallschieber, Größe 5, finden könnten.
Durch all diese Aufregung, Unternehmungen, Arbeiten und Essen waren plötzlich 17 Tage vergangen, und es war Zeit für uns, entweder weiterzufahren oder uns offiziell als Einwohner Adelaide’s anzumelden.