Eine Kanufähre, ein Tempelfest und ein Elefantenhändler
Kochi – Kovalam
Nachdem wir Kochi hinter uns gelassen hatten, folgten wir einer ruhigen, holprigen Küstenstraße, die durch kleine Fischerdörfer führte. Wir kamen an mehreren Bootbauern vorbei, wo Holzstücke geschreinert und dann mit Kokossträngen zusammengebunden wurden, um neue Fischerboote zu bauen.
Da Kerala eine ziemlich touristische Gegend ist, wurden wir öfter um Geld, Süßigkeiten und Stifte angebettelt als in anderen Gegenden Indiens. Als dann ein Mann aus seinem winzigen Fotostudio lief, um uns anzuhalten und ein Foto von uns zu machen, und er dann darauf bestand, es für uns zu drucken, kam uns das höchst verdächtig vor. Sicher war das eine schlaue Falle und er würde dann eine Bezahlung für diesen “Service” erwarten. Aber nachdem er das Foto auf seinem Computer bearbeitet und dann gedruckt hatte, schrieb er nur eine Nachricht hinten auf das Foto, um uns eine gute Reise zu wünschen, und schenkte es uns dann mit einem Lächeln.
Am Nachmittag kamen wir nach Aleppey und hatten Orientierungsschwierigkeiten, da die Stadt so hektisch und verwirrend war. Am Ende fanden wir ein nettes kleines Hostel mit einem freundlichen Manager. Aleppey liegt in der Mitte der Küstengewässer in Kerala und ist daher ein guter Startpunkt für Hausboottouren. Unser Reiseführer hatte Aleppey als “ein bisschen Venedig in Indien” beschrieben. Vielleicht hatte der Autor zuviel Kanalwasser getrunken, denn wir fanden nur ein paar überwachsene Kanäle und das übliche hektische indische Stadtzentrum, also blieben wir nicht lange und waren früh am nächsten Morgen wieder auf dem Weg.
Wir hatten vorgehabt, den ganzen Weg bis zum südlichen Zipfel Indiens auf der kleinen Küstenstraße zu bleiben. Andere Radtourer hatten erwähnt, dass sie ruhig und hübsch war, mit mehreren Fähren wo Flüsse die Straße unterbrachen. Wir wussten, dass es zwischen Aleppey und Kollam einige Flüsse gab, aber als wir einige Einheimische fragten, sagten sie dass es dort gar keine Fähren gäbe. Daher mussten wir leider auf der Hauptstraße bleiben.
Die Hauptstraße war verkehrsreich, aber es gab einen kleinen Seitenstreifen, so dass wir uns recht sicher fühlten. Indische Fahrrad- und Motorradfahrer bleiben allerdings oft nicht auf ihrer Seite, und daher kamen uns viele auf “unserer” Seite entgegen. Wir mussten uns sehr konzentrieren und die Augen immer auf die Straße vor uns halten. In tiefer Konzentration schaffte Frederike es, direkt an einem Elefanten vorbeizufahren, der auf einem Laster ca einen Meter von ihr entfernt stand, ohne ihn zu sehen. Guy war sehr erstaunt, dass man, ohne es zu bemerken, direkt an einem riesigen Elefanten vorbeifahren konnte.
Die Radfahrer in Kerala sind ziemlich stolz und fahren oft mit uns um die Wette. Sobald wir jemanden überholen, fährt er plötzlich viel schneller und überholt uns, nur um dann sofort vor uns wieder ganz langsam zu fahren, und dann beginnt das Spiel wieder von vorne. Dieses Spiel ging so für eine Weile mit einer Gruppe von Eisverkäufern – Teenager, die Metallkanister mit Eis auf ihre Gepäckträger geschnallt und einen Stapel Waffeln am Lenker befestigt hatten. Sobald einer von ihnen müde wurde, überholte uns der nächste. Sie waren so darauf versessen, vor uns zu fahren, dass wir unsere Fahrt am Ende verlangsamten und hinter ihnen blieben.
Nachdem wir die Nacht in einem Hotel voller Moskitos in Kollam verbracht hatten, waren wir endlich wieder auf der Küstenstraße für einen kurzen Tag bis zum Varkala-Strand, nur 30km entfernt. Wie üblich hatten wir unsere Route mit Google Maps geplant, was normalerweise eine sehr genaue Karte ist. Nachdem wir allerdings durch einige freundliche Fischerdörfer gefahren waren, die zwischen dem Meer und einem See lagen, endete die Straße plötzlich. Große Steine lagen auf der Straße, um Fahrzeuge davor zu bewaren, plötzlich ins Wasser zu stürzen.
Einige Leute erzählten uns, dass die Straße im letzten Monsun vor 4 Monaten von einer Flut weggerissen worden war. Unsere einzige Option schien zu sein, nach Kollam zurückzufahren und dann einen Umweg auf der Hauptstraße zu machen, was dann unseren 30km Tag in einen 80km Tag verwandelt hätte. Da es so ein großer Umweg war, fragten wir bei einem Yogazentrum nach, das leider 5 Hütten in der Flut verloren hatte (zum Glück waren keine Yogis verletzt worden). Sie schlugen vor, dass uns vielleicht ein Fischer gegen ein kleines Entgelt übersetzen könnte.
Als die Fischer ankamen, wurde uns etwas mulmig. Sie hockten auf einem schmalen Kanu, welches sich langsam mit Wasser füllte. Einer der Männer schöpfte hastig mit einem alten Stück Plastik Wasser aus dem Kanu. Das Kanu ragte nur ca 20cm aus dem Wasser. Unsere voll beladenen Fahrräder würden auf keinen Fall in das winzige Boot passen, und wenn doch würden wir sicher sinken. Wir stellten uns vor, wie unsere Laptops, Kamera, Pässe usw über Bord gingen. Es war ein recht großes Risiko und wir waren nicht sicher, ob unsere Versicherung dafür Verständnis haben würde.
Dennoch war ein 50km Umweg ziemlich ärgerlich, wenn wir mit einer kurzen Kanufahrt zur anderen Seite gelangen könnten, die nur 300m weit entfernt war. Die Fischer waren sicher sehr erfahren und transportierten ja auch ihre Fischfänge in dem Kanu. Guy ging zuerst. Er nahm alle Satteltaschen ab und häufte sie hinten im Kanu auf. Dann setzte er sich auf die kleine Bank, wobei das Kanu hin- und herwackelte. Als er sein Fahrrad neben sich aufrecht hielt, winkte er Frederike nervös zu, und es ging los.
Sobald das Kanu etwas schneller fuhr, schien es stabiler zu liegen, und der Fischer schien recht entspannt als er fröhlich sang und paddelte. Bald kam das Kanu zu Guy’s Erleichterung am gegenüberliegenden Strand an.
Als Frederike dran war, beschloss der zweite Fischer, die Fahrt noch etwas zu komplizieren, indem er auch ins Kanu stieg. Mit diesem zusätzlichen Gewicht lag das Kanu noch tiefer im Wasser, aber auch diesmal kam es gut auf der anderen Seite an, so dass wir die glücklichen Fischer erleichtert für ihre Dienste entlohnten.
Als wir am Strand von Varkala ankamen, wussten wir sofort, dass wir in einer weiteren Touristenblase gelandet waren. Steile Klippen rahmten einen hübschen Strand ein, und die meisten Unterkünfte und Restaurants saßen oben auf den Klippen, mit Meeresblick. Wir fanden ein nettes kleines Gasthaus und besuchten aufgeregt die Deutsche Bäckerei zum Mittagessen. Als wir da oben auf den Steilklippen saßen, mit dem glitzernden Meer unter uns, fühlten wir uns, als ob wir auf dem Oberdeck eines Kreuzfahrtschiffs säßen.
Die meisten Restaurants boten abends verschiedene frische Fische an, so dass man sich einen auswählen und ihn dann zum Abendessen zubereiten lassen konnte. Es war schön zu sehen, dass der Tourismus hier die Fischer in ihrem traditionellen Gewerbe unterstützte, wobei sie hoffentlich von den Restaurants höhere Preise als auf dem Markt fordern konnten. Einer der Kellner erzählte uns, dass er nachts als Fischer arbeitet, und tagsüber als Kellner. Er schläft nur ein paar Stunden während das Fischerboot aufs Meer hinausfährt. Leider müssen wohl viele Leute in Indien zwei Jobs haben, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, vor allem wenn sie damit auch ihre Familie unterstützen.
Als wir zum Strand hinunter gingen, kamen wir an einem Zahnarzt vorbei. “Nein danke, wir waren erst gerade in Kochi beim Zahnarzt", sagten wir, zur Enttäuschung des Mannes der uns gerade einen Flyer geben wollte. Wir witzelten darüber, wie viele Touristen-Zahnärzte es in Kerala gab und sahen uns am Strand den Sonnenuntergang an, als Guy plötzlich Zahnschmerzen bekam! Am nächsten Tag waren die Schmerzen schlimmer und wir gingen zurück zum Zahnarzt, um einen Termin zu machen, zum Entzücken des Flyer-Mannes (wir denken, dass er den armen Guy mit einem Voodoo-Fluch belegt hat). Der Zahnarzt verschrieb eine Röntgen-Untersuchung, um zu sehen, ob eine Wurzelbehandlung nötig war, worüber er zu 90% sicher war. Nach einer schlaflosen Nacht wurden am nächsten Morgen die Röntgenbilder gemacht, und zu unserer Erleichterung war der Zahn gesund – es war nur eine Entzündung. Allerdings waren wir ziemlich beeindruckt von den gut qualifizierten Zahnärzten in Kerala und verstehen jetzt, warum Medizin-Tourismus in Indien boomt. Die Kosten sind so viel niedriger als im Westen, mit gleichen oder sogar besseren Behandlungsbedingungen.
Nach ein paar Tagen in Varkala fuhren wir auf der Küstenstraße weiter in Richtung Süden, nach Kovalam. Leider existierte mal wieder die erwartete Fähre nicht, und während wir versuchten, eine Brücke über einen Fluss zu finden, verirrten wir uns und endeten auf einem kleinen Trampelpfad für Kühe. Dies war die letzte der vielen Fährüberfahrten, die wir eigentlich erwartet hatten – in der ganzen Zeit, die wir an der Westküste Indiens verbracht hatten, die eigentlich bekannt für die ganzen Fähren ist, haben wir nicht eine einzige Fährüberfahrt geschafft!
Während wir etwas verirrt durch ein kleines Dorf fuhren, fanden wir ein Hindu Fest zu Ehren der Göttin Meenakshi vor. Überall war etwas los, als die Leute Vorbereitungen für das Fest machten. Aus großen Lautsprechern tönte rhythmische indische Musik, und die Straßen waren mit Lametta und farbigen Bändern geschmückt. Einige Männer baten uns, anzuhalten, und zeigten auf einen Pfad, der zum Tempel führte, wobei sie Essensgesten machten. Mit perfektem Timing waren wir genau angekommen, als das Mittagessen serviert wurde!
Wir schoben unsere Fahrräder den Pfad entlang, an einer langen Reihe von Frauen vorbei, die jede hinter einem Topf saß, der über heißen Kohlen warmgehalten wurde. Einige junge Männer erklärten, dass dies Gaben für die Göttin wären. Die Frauen hatten Reis mit Kokosnuss und Gewürzen gekocht, der dann von den Tempelpriestern gesegnet wurde. Ein wenig Reis wurde der Göttin geopfert, und der Rest des gesegneten Essens wurde mit der Familie geteilt.
Ein älterer Mann lud uns ein, unsere Fahrräder auf seiner Auffahrt zu parken, und dann gingen wir entlang einer langen Reihe von lächelnden und kichernden Frauen, die sich fürs Mittagessen anstellten. Die Männer formten eine separate Schlange. Wir wurden einem Tempelpriester vorgestellt, der uns den Tempel zeigte und uns einlud, den Komplex von Hinten zu betreten, so dass wir die Schlange vermieden. Wir fühlten uns wie VIPs, geehrt dass wir so einen wichtigen Moment mit diesen freundlichen Leuten teilen durften. Hier kochten Männer Essen für die 5000 Besucher in riesigen Töpfen. Um die Reistöpfe zu tragen brauchte es mehrere Männer, und verschiedene Curries wurden über dem Feuer mit spatengroßen Löffeln gerührt.
Zwei Stühle und ein Tisch wurden geholt, und uns wurde ein leckeres Mittagessen aus Reis, Pappadums, fünf verschiedenen Curries und Soßen, sowie ein Nachtisch serviert, während alle anderen im Stehen aßen oder sich auf den staubigen Boden setzten. Als der Priester bemerkte, dass wir Schwierigkeiten hatten, mit den Händen zu essen, holte er uns Löffel. Eine Gruppe von Männern stand um uns herum und redete, wobei sie uns beim Essen zusahen und uns immer wieder Nachschub gaben. Als wir fertig waren, kam der “Küchen”-Chef zu uns, um zu sehen ob wir sein Essen mochten. Nach dieser netten Einladung brachten uns der Priester und ein paar andere Männer zurück zu unseren Fahrrädern und dankten uns (!) für unseren Besuch.
Am frühen Abend kamen wir an dem Strandort Kovalam an, der einst hübsch und mit Palmen eingerahmt gewesen war, inzwischen aber voller Hotels und Restaurants ist, überlaufen mit Schleppern und Charter-Touristen.
Als sie mit den Fahrrädern wartete, während Guy sich ein Hotel ansah, wurde Frederike von einem Mann ein sehr interessantes Angebot gemacht. “Wie ich sehe habt ihr schöne Fahrräder. Ich möchte meinen Elefanten verkaufen. Wollt Ihr vielleicht tauschen?” Für einen Moment dachte sie darüber nach, nur um Guy’s Reaktion zu sehen, wenn er zurückkam und sie hoch auf einem Elefanten thronen sah!
Nachdem wir beschlossen hatten, die Fahrräder zu behalten, aßen wir eine Pizza (zum Glück gab es einen Holzofen, denn es gab einen langen Stromausfall gerade nachdem wir unser Essen bestellt hatten). Nun lag eine lange Strecke vor uns, da wir planten, den südlichen Zipfel Indiens zu umrunden und dann die Ostküste entlang nach Madurai zu fahren, was ca 400km entfernt war.