Eine Frische Perspektive
Bangkok – Chumphon
Unser Freund Nick war aus England gekommen, um uns für unsere erste Woche Radfahren in Thailand zu begleiten. Da er mit einer thailändischen Frau verheiratet ist, hat er zwar für einige Jahre in Bangkok gelebt, ist aber nie in Thailand Fahrrad gefahren, so dass wir uns gemeinsam darauf freuten, Thailand per Fahrrad zu entdecken.
Wir verabschiedeten uns von Aom, Nick’s Frau, und stürzten uns in den Bangkoker Morgenverkehr. Die Straße, die auf unserer Landkarte wie eine Nebenstraße ausgesehen hatte, war eine sechsspurige Schnellstraße. Zum Glück waren die Autofahrer respektvoll und es gab genug Platz für alle. Wir hielten den Verkehr für 50km aus, bis wir aus den Vororten Bangkoks kamen und auf einer kleinen Nebenstraße weiterfuhren, die sich durch fruchtbare Reisfelder und Kokosnussplantagen wand.
Unsere Mägen knurrten und wir hielten an einem der vielen Essensstände an, die die Straßen in Thailand säumen. Diese Stände sind kleine Küchen oder sogar nur Motorräder mit einem Beiwagen, der in eine kleine Küche mit Kochplatte oder Grill umgewandelt wurde. Einige Plastikstühle und Tische vollenden das “Restaurant”. Es ist unkompliziert und das Essen ist schnell, frisch und lecker. Nick übersetzte unsere Bestellungen auf thailändisch als wir uns entspannten. Zwar fühlten wir uns etwas faul, aber es war auch mal angenehm, die manchmal anstrengende Kommunikation jemand anderem zu überlassen.
Die üppige tropische Vegetation verwandelte sich bald in große Salzfarmen. Als wir bei einer Salzfarm anhielten, um Fotos zu machen, wurden wir eingeladen, sie uns näher anzusehen. Nick unterhielt sich mit einem netten alten Mann, der sich gerne die Bilder von seinem Arbeitsplatz auf Nick’s Kamera anschaute. Beide scheinen eine Vorliebe für ungewöhnliche Kopfbedeckungen zu haben!
Nachdem wir alles Mögliche über Salzfarmen gelernt hatten, fuhren wir weiter durch den heißen Nachmittag, wobei wir oft anhielten, um Eiskaffee zu trinken, und erreichten schließlich die Kleinstadt Samut Songkhram. Gerade hatten wir angehalten, um über eine Unterkunft nachzudenken, als ein Polizist in einer smarten Uniform mit Rayban Sonnenbrille auf seinem Motorrad neben uns anhielt. “Hotel? Folgt mir!” rief er als er sein Motorrad anschmiss, den Verkehr stoppte und losraste. Als wir ihm durch die Straßen der Stadt folgten, wurde klar, dass er das Gesetz war, als wir nach mehreren illegalen Manövern bei einem netten Hotel ankamen. Bevor wir uns richtig bei ihm bedanken konnten, war er schon wieder weg, und wir hörten nur noch sein Motorrad durch die Straßen knattern.
Nachdem wir geduscht hatten, gingen wir los, um etwas zu Essen zu suchen. An jeder Straßenecke gab es einen kleinen Essensstand ohne Menü oder identifizierbare Zutaten – wir waren verwirrt. Auf den ersten Blick sahen die kleinen improvisierten Küchen auf den Fußwegen und in den Ladeneingängen alle gleich aus. Ein geschultes Auge allerdings konnte anhand der Kombination der Gewürze, einer Hühnerbrust an einem Haken oder des Gemüsekästchens ablesen, welches Essen hier angeboten wurde. Nick brachte uns die Essensstand-Sprache bei als wir von einem Stand zum nächsten gingen, auf kleinen Plastikstühlchen hockten und die verschiedenen Köstlichkeiten verschlangen, von gedünstetem Huhn über Fischbällchen und gebratene Nudeln bis zu Roti mit Kondensmilch und Eistee.
Am nächsten Morgen schlängelten wir uns durch kleine Straßen und verschlafene Fischerdörfer zur Küstenstadt Cha-Am. Nick ist sehr sportlich und ein guter Radfahrer, war aber überzeugt, dass wir irgendwie in den letzten 10 Monaten übermenschlich geworden waren und dass er nicht mit uns mithalten könnte. Daher hatte er beschlossen, superleicht zu reisen, nur mit einem Rennrad und einer Lenkertasche. Uns rutschte das Herz in die Hose, als wir von seinem Plan erfuhren, und natürlich rollte er ohne Anstrengung dahin, während wir auf unseren schwer bepackten Stahlrädern außer Puste hinter ihm her radelten!
Im etwas kitschigen Badeort Cha-Am fanden wir ein Hotel mit riesigen Zimmern. Dort trafen wir den nettesten Wachmann aller Zeiten. Nachdem wir verhandelt hatten, um unsere Fahrräder mit ins Zimmer nehmen zu können, bestand der nette Mann mit seinen großen braunen Augen und struppigen schwarzen Haaren darauf, eines der 15kg schweren Fahrräder für uns in den dritten Stock zu tragen. Unbeholfen hob er das Fahrrad hoch und marschierte mit Gusto die erste Treppe hinauf. Auf dem ersten Treppenabsatz, nach nur 10 Stufen, hatte er das Fahrrad abgesetzt und sah etwas unbehaglich aus. Er war auch klatschnass – wir dachten, dass er draußen im Regen gewesen wäre.
Wir sagten, dass dies nicht unser Stockwerk war, wir müssten noch zwei höher gehen. Das gleiche passierte auf dem nächsten Treppenabsatz, er ging einfach nicht weiter. Wir bestanden darauf, dass unser Zimmer noch höher war, warum wollte er denn bloß nicht weitergehen? Dann klickte es: Er war völlig erschöpft, außer Puste und schwitzte von Kopf bis Fuß! Als er sich schwer atmend an das Geländer lehnte, versuchten wir, uns mit ein wenig Konversation zu beschäftigen, so dass seine Pause nicht so auffiel. Nach einer Ewigkeit biss er die Zähne zusammen, stoß einen Seufzer aus und machte eine letzte große Anstrengung. Der Arme klappte fast zusammen, konnte aber seinen Stolz nicht verstecken, als er von Ohr zu Ohr grinste. Wir bedankten uns überschwenglich bei ihm – so sehr hatte sich schon lange niemand mehr für uns angestrengt!
Wegen der Hitze wollten wir am nächsten Morgen extra früh losfahren (dafür sind wir normalerweise nicht bekannt), und wir waren daher etwas sauer, als der Wecker klingelte und es stark regnete. Der Regen war recht unerwartet während der Trockenzeit, und es regnete den ganzen Tag. Anfangs fanden wir es noch schön erfrischend, aber am Ende des Tages, als wir völlig durchnässt waren, wurde uns ziemlich kalt. Zum Glück hatten wir aber Rückenwind und kamen schnell voran.
Als wir auf den guten Straßen mit einem schönen Rückenwind so dahinradelten, zeigte unser GPS plötzlich eine Abzweigung von der Hauptstraße auf eine kleine Nebenstraße an. Wir blieben bei unserer Philosophie, die weniger befahrenen Straßen zu nehmen und vertrauten dem kleinen Weg. Nachdem wir eine Weile durch schlammige Dörfer gefahren waren, wurde es nasser und nasser, bis wir durch 20cm hohes dreckiges Wasser fuhren. Verzweifelt versuchten wir, unsere Schuhe trockenzuhalten. Nicht weit entfernt konnten wir die Teerstraße sehen, aber um dahin zu kommen, mussten wir die Fahrräder durch eine Müllhalde schieben – oh die Glitzerwelt einer Radtour!
Wir planten, am Dolphin Beach, der beim Khao Sam Roi Yot Nationalpark lag, einen Ruhetag einzulegen. Unser Bungalow war gemütlich, aber das Wetter spielte leider nicht mit. An unserem Ruhetag regnete es immer noch stark, es war windig und ungefähr 16°C – sehr kalt für Thailand, vor allem da sich das Leben dort im Freien abspielt, so dass wir mit Regenjacke und zwei Paar Socken draußen im Restaurant saßen.
Guy und Nick ließen sich vom Wetter nicht abschrecken und beschlossen, trotzdem auf dem Meer Kajakfahren zu gehen. Als am Strand der Wind heulte und Schaum von den Wellen flog, überlegte Guy es sich anders. Er drehte sich um, um mit Nick zu sprechen, aber der war schon auf dem Weg ins Wasser, wobei er ein knallrosa Dreier-Kajak hinter sich herzog. Nick paddelte das Kajak durch die Wellen und kam triumphierend wieder am Strand an. Guy hatte keine Wahl und nahm sich ein Einer-Kajak, wurde aber schnell müde und sah Nick zu, der viel mehr Energie zu haben schien.
Irgendwie überzeugte Nick Guy, mit in das rosa Dreier-Kajak einzusteigen, und kurz darauf saß er vorne im Kajak, auf dem Weg durch die Wellen, während Nick das Kajak vom hinteren Sitz steuerte. Die Wellen schienen immer größer zu werden, und der Fall vom Höhepunkt einer Welle ins Wellental war so abrupt, dass Guy in die Luft flog, bevor er mit einem Plumps wieder auf seinem Sitz landete. Als dieses immer wieder passierte, musste Guy so sehr lachen, dass er gar keine Kraft mehr hatte und den Wellen ausgeliefert war. Der Nagel im Sarg kam als sie auf eine Riesenwelle trafen, die Guy so hoch in die Luft katapultierte, dass er danach auf einem anderen Sitz in der Mitte des Kajaks landete. Das war zu viel des Guten, und bald kenterte das Kajak und Guy, Nick und das rosa Kajak wurden in einem eleganten Finale hilflos an den Strand gespült.
Nach unserem Ruhetag besserte sich das Wetter und wir beschlosse, einen kleinen Umweg zu machen, um eine Höhle im Nationalpark zu besuchen. “Da können wir mit dem Fahrrad hinfahren, und dann müssen wir nur etwas hochklettern,” sagte Nick, der schonmal dagewesen war.
Wir können bezeugen, dass mehr als nur ein bisschen Klettern involviert war. Wir parkten die Fahrräder und kraxelten für die nächste Dreiviertelstunde über einen felsigen Pfad hoch zur Höhle. Wir waren die ersten Besucher des Tages in der Tham Phraya Nakhon Höhle – ansonsten war niemand da, und es war sehr ruhig. Ein thailändischer König hatte die Höhle während eines Sturms entdeckt und dort einen kleinen Pavillion bauen lassen, der in morgendliches Sonnenlicht gebadet war, als wir ankamen. Es war so fantastisch, dass wir sogar unsere schmerzenden Beine vergaßen, als wir unsere Umgebung bewunderten.
Als wir zurück zu den Fahrrädern kamen und im Restaurant etwas aßen, wurde Guy plötzlich klar, dass er sein Handy im Hotel vergessen hatte. Ein 10km Umweg war nicht ideal, da unsere Beine schon vom Klettern müde waren und wir am Nachmittag sowieso noch 70 fahren mussten. Zum Glück löste Nick unser Problem, indem er sich anbot, zurückzufahren und das Handy zu holen. Auf seinem Rennrad würde das schnell gehen, und es war eine gute Möglichkeit für ihn, sich “die Beine zu vertreten” statt extra langsam zu fahren, so dass wir mit ihm mithalten konnten. Das bedeutete, dass wir stattdessen im Restaurant sitzen und Eiskaffee trinken konnten!
Die Straße durch den Nationalpark war schön und flach, aber mit Hügeln im Hintergrund. Der einzige Fleck im Bild waren die vielen Garnelen-Farmen, die Teile des Nationalparks einnahmen.
Unser Ziel für den Abend war Prachuap Khiri Khan, eine Kleinstadt am Meer. Unser Reiseführer schrieb, dass wir nur unsere Augen ein wenig zudrücken mussten, und wir könnten uns vorstellen, wir wären in Südfrankreich. Während das wohl etwas weit hergeholt war, fanden wir allerdings ein nettes kleines Zimmer, das einem Franzosen gehörte. In einem Restaurant an der Promenade aßen wir ein riesiges Fisch-Abendessen. Die Portionen in Thailand sind ziemlich klein, so dass wir zur Verwirrung der Kellner oft das Doppelte bestellen, so dass wir genug Kalorien zum Fahrradfahren zu uns nehmen.
Als wir am nächsten Morgen Prachuap Khiri Khan verließen, fuhren wir durch einen Nationalpark an der Küste entlang. Unsere thailändische Landkarte enttäuschte uns wieder, und die einzige Straße, die wir finden konnten, war ein winziger, überwachsener Pfad. Es sah nach Abenteuer aus, und so schoben wir die Fahrräder über umgefallene Baumstämme und durch die dornigen Büsche. Nach einer Weile verschwand der kleine Pfad jedoch und wir gaben auf und gingen zurück zur Straße. Zum Glück bekamen wir von den Dornen keinen Platten!
Nachdem wir einige Stunden lang auf kleinen Waldwegen durch den Nationalpark gefahren waren, waren wir hungrig. Leider kamen wir nur durch sehr kleine Dörfer ohne Restaurant. Endlich kamen wir an einem Gebäude vorbei, das wie ein Restaurant aussah, in dem eine Feier stattfand. Wir hielten an, um nachzufragen, und fanden heraus, dass es eine Hochzeit war. Das “Restaurant” war in Wirklichkeit das Haus einer Familie. Die Schwester des Bräutigams lud uns sofort ein.
Benz war sehr freundlich. Sie und ihr Freund hatten beide einen Master in Englisch, so dass wir gut kommunizieren konnten. Trotz unseres schwitzigen, dreckigen Aussehens wurden wir willkommen geheißen. Sofort wurden Reis, Nudeln, gebratener Fisch und verschiedene Curries serviert, und wir bekamen sogar eine süße Kokosnusssuppe als Nachtisch. Das Haus war sehr schön und nur einige Meter vom glitzernden Meer entfernt. Wir wurden sogar für die Abendfeier eingeladen, mussten aber leider weiter, da es schon spät wurde.
Am späten Nachmittag kamen wir an einem Wat vorbei, das hoch auf einem bewaldeten Hügel auf einer Landzunge lag. Es war ein steiler Austieg, aber die tolle Aussicht auf’s Meer und der schöne Wat waren die Anstrengung wert.
Später folgten wir einer Strandstraße und übernachteten im einem Strandbungalow. Thailand hat wirklich eine überproportionale Anzahl an schönen Stränden, und uns gefällt es sehr gut, dass wir einfach in einem Bungalow übernachten und dann nur wenige Meter zum Strand gehen müssen, um zu schwimmen.
Plötzlich war eine Woche vergangen und es war schon unser letzter Tag mit Nick. Wir hatten einen langen Tag vor uns, da Nick für den Abend einen Zug nach Bangkok von Chumphon gebucht hatte (Chumphon war 110km von uns entfernt). Es war ziemlich heiß und hügelig, und zu Alledem schlich sich dann noch eine Biene in Nick’s Fahrradhosen und stach dreimal zu…
Am späten Nachmittag kamen wir in einem weiteren Stranddorf nicht weit von Chumphon an, wo wir die Nacht verbringen wollten. Wir tranken einen letzten Eiskaffee mit Nick bevor er zum Bahnhof weiterfuhr.
Da wir schon seit 10 Monaten unterwegs sind und wir Thailand zuvor schon besucht hatten, waren wir hier nicht ganz so aufgeregt und neugierig wie in anderen Ländern. Nick allerdings eröffnete uns eine frische Perspektive. All die kleinen Dinge, die wir inzwischen schon für selbstverständlich hielten, fühlten sich wieder gut an – ein freundliches Winken von einem vorbeifahrenden Motorrad, eine kleine Unterhaltung mit einem neugierigen Ladenbesitzer, ein lachender Gruß von einem Schulkind. Nick erinnerte uns daran, jeden Moment unserer Reise zu schätzen. Danke, wir werden Dich vermissen!