Ein Patchwork von Teeplantagen
Mettupalayam – Munnar – Kochi
Irgendwo in der Nähe von Ooty wurden die Leute plötzlich wieder viel freundlicher und wir bezahlten wieder die richtigen Preise. Wir unterhielten uns auch mit mehr Indern, einschließlich einem Mann, der seine Frau anrief, da sie Deutsch sprach und sich mit Frederike unterhalten wollte. Sie lud uns sogar in ihr Haus ein, was aber leider nicht auf unserem Weg lag.
Eines Abends saßen wir in einem Restaurant in der Kleinstadt Mettupalayam, als drei Kinder sich zu uns gesellten. Sie sprachen gut Englisch und waren daran interessiert, sich mit Ausländern zu unterhalten. Als sie sich verabschiedeten, kniff uns jedes der Kinder nacheinander in die Wange! Verwirrt fragten wir den Restaurantbesitzer, was das bedeutete. “Das macht man, wenn man etwas sehr gerne mag oder wenn man etwas sehr schön findet”, lächelte er. Und wir dachten, dass sie nur frech gewesen waren!
Guy litt immer noch unter Übelkeit. Als er gelangweilt im Bett lag, entdeckte er einen süßen kleinen Affen auf dem Dach nebenan. Er warf dem Affen den Rest seiner Banane zu, die der Affe gleich dankbar verschlang. Am nächsten Morgen, als wir gerade in unserem Zimmer frühstücken wollten, sahen wir vor unserem Fenster einige Affen-Silhouetten. Nachdem wir die Gardinen geöffnet hatten konnten wir sehen, dass der kleine Affe zurückgekommen war, und zwar mit einigen Freunden – einigen großen Freunden. Sie saßen direkt vor unserem Fenster, starrten uns an, sprangen abwechselnd auf das kleine Fenstersims und versuchten, das Fenster zu öffnen. Das Fenster konnte nicht richtig geschlossen werden, so dass sie es aufziehen konnten, aber zum Glück gab es noch ein Gitter vor dem Fenster, so dass sie nicht reinkommen konnten. Jetzt wissen wir auch, warum fast alle Hotels Gitter vor den Fenstern haben, und dass man kleinen süßen Affen nicht trauen kann.
Nachdem Guy sich von seiner Krankheit erholt hatte, drehten wir die Fahrräder mal wieder Richtung Süden für einen langen Tag auf einer verkehrsreichen Straße, durch die Stadt Coimbatore und in den nächsten Ort, Pollachi. In Pollachi fanden wir ein super Hotel mit einem guten Restaurant für weniger als €12. Bisher finden wir die Qualität der Hotels in Indien sehr gut. Unser Budget ist großzügig genug um nicht in Absteigen übernachten zu müssen, und außerhalb von Touristengegenden können wir uns recht gute Hotels leisten. Wir haben immer ein Badezimmer, Kabelfernsehen, Ventilator, und oft gibt es Zimmerservice. Wenn wir ankommen, ist fast immer jemand da, der uns mit unserem Gepäck hilft, was wir zu schätzen wissen, nachdem wir unsere Siebensachen unzählige Treppen in der Türkei und Iran hochgetragen haben. Das erste, was wir machen, ist nach einem Eimer heißem Wasser zu fragen, um zu duschen, und dann bestellen wir Tee und Snacks, wenn es Zimmerservice gibt. Bevor wir nach Indien kamen, sagte uns ein anderer Radfahrer, dass es sich manchmal anfühlt als ob man im Urlaub ist, und wir müssen zugeben, dass das stimmt.
Unsere einzige Enttäuschung mit indischen Hotels ist, dass sie nie Internet haben. Anscheinend gibt es da Sicherheitsbedenken seit den Terroristenanschlägen auf Mumbai in 2008, und sogar in Internetcafes dürfen wir manchmal unsere Laptops nicht benutzen, und oft müssen wir unsere Reisepässe vorzeigen, bevor wir uns einloggen dürfen. Wir hatten uns eigentlich vorgestellt, dass Indien viel vernetzter sein würde, da das Land ja so stark im Informatik-Bereich ist.
Wir hatten geplant, nach Munnar zu fahren – eine weitere Bergstation – bevor wir zurück an die Küste kommen würden. Es war ein Umweg und noch ein 1500m Aufstieg. Wir hatten nicht viel Energie und wussten, dass wir die Küste innerhalb eines Tages erreichen könnten. Als wir an der Abzweigung ankamen, standen wir da in der Mittagshitze und überlegten, was wir machen sollten. Wir hatten alle möglichen Ausreden, warum wir nicht wieder in die Berge fahren wollten, aber insgeheim wussten wir beide, was wir machen sollten, und so nahmen wir die Straße, die in die Berge führte. Meistens lohnt sich die schwere Arbeit, und man kann schließlich nicht immer den einfachen Weg nehmen.
Als wir aus der Stadt kamen, fühlten wir uns, als ob wir im falschen Film wären und wieder in Europa wären. Wir fuhren über ein flaches Plateau mit Agrarland, und überall um uns herum standen Windkraftturbinen. Das Wetter war bewölkt und windig, und es gab nur wenige Leute in der Umgebung.
Bald ging es bergauf und wir kamen in das Chinnar Wildreservat. Wir hatten ein Deja Vu als wir durch eine Schranke in ein weiteres Tigerreservat kamen, diesmal recht unerwartet. Dieser Nationalpark war viel abgelegener als Mudumalai, und es gab fast keinen Verkehr auf der kleinen Straße. Dadurch war es noch einfacher für uns, Tiere zu sehen, und als wir um eine Kurve kamen, hörten wir etwas in den Wald stampfen. Ein wilder Elefant hatte gerade die Straße überquert und war überrascht von unserer Ankunft. Etwas weiter im Gebüsch hielt er an und begann, an einigen Zweigen zu kauen, während er uns genau im Auge behielt. Es war fantastisch, so nah an so einem großen Tier in der Wildnis zu sein.
Kurz nach dieser Begegnung hielt Guy wieder an, als wir etwas im langen Gras neben der Straße rascheln hörten. “Lass uns lieber weiterfahren, vielleicht ist es ein Tiger,” sagte Frederike. Guy starrte gebannt auf das Gras, voller Erwartung was sich da wohl verstecken mochte. Definitiv war dort ein Tier, denn das meterhohe Gras bewegte sich in Wogen, als das mysteriöse Tier langsam auf uns zukam. Plötzlich kam es am Rande des Grases an und steckte seinen Kopf heraus, wobei es direkt in Guy’s Augen starrte. Es gab keinen Zweifel – dies waren die einzigartigen Gesichtszüge eines ganz normalen Huhns!
Wieder auf dem Boden der Tatsachen angekommen, fuhren wir weiter. Die Landschaft war sehr dramatisch, mit dichter Vegetation und steilen Berggipfeln. Wir fuhren an der Seite eines Tals bergauf, das von einem Fluss geformt worden war, der sich durch das Tal schlängelte, wobei er manchmal einen See formte oder über die Felsen als kraftvoller Wasserfall hinunterstürzte. Wir konnten 5-10 Minuten am Stück fahren, ohne ein Fahrzeug zu sehen und genossen die Ruhe. Auf dem Weg sahen wir ein Wildschwein, das im Gebüsch herumwühlte, einige bedrohte Riesen-Eichhörnchen in den Baumwipfeln, und ein paar interessante Eisvögel mit ihren roten Köpfen und blau-grünen Federn.
Wir wollten die Nacht in Marayoor am Anfang der Auffahrt nach Munnar verbringen. Allerdings war Marayoor viel weiter weg als wir erwartet hatten, und wir erklommen schon 700m – fast die Hälfte des Aufstiegs nach Munnar. Wir waren ziemlich müde, als wir in Marayoor ankamen, und als wir die Aussicht bewunderten, begrüßten uns zwei junge Männer und ein älterer Herr und boten uns Obst an. Sie machten Fotos von uns, und wir machten Fotos von ihnen. Eines der Dinge, die uns in Indien gefallen, ist dass die Leute hier genauso fasziniert von uns sind wie wir von ihnen.
Am nächsten Tag ging es weiter bergauf nach Munnar, über einen Pass auf 1880m Höhe. Bald nachdem wir Marayoor verlassen hatten, und gerade als wir dachten, die Landschaft könnte gar nicht besser sein, begannen die Teeplantagen. Sie waren perfekt grün und formten einen Patchwork-Teppich über die Hügel und Berge, wobei sie sich manchmal an unmöglich steilen Hängen festklammerten. Um die zauberhafte Umgebung perfekt zu machen gab es viele Wasserfälle und kleine Flüsse, und die Aussicht war nach jeder Biegung der Straße anders. Die Filmregisseure in Bollywood fanden das wohl auch, denn sie filmten gerade einen Kinofilm in den Teeplantagen.
Wir hielten an einem kleinen Chai Laden an, um uns mit einem Tee und einem Omelette zu stärken, bevor wir hoch in die Wolken fuhren. Alle paar Hundert Meter hielten wir an, um Fotos zu machen, und da wir so abgelenkt waren, schien der Aufstieg recht schnell vonstatten zu gehen. Einer von uns hatte allerdings eine helfende Hand.
Nach dem Mittagessen, mit der Sonne direkt über uns, wurde die Straße steiler und wir mussten uns mehr anstrengen. Gerade als wir müde wurde, wurde Frederike ein Geschenk präsentiert, in Form einer Einzelfahrt zum Gipfel. Ein Lastwagen überholte uns so langsam, dass er nur etwas schneller als wir war. Hinten an der Ecke der Ladefläche, nur einen Meter von Frederike’s Nase entfernt, gab es einen Griff. Es war einfach zu perfekt. Sofort dockte Frederike an das Mutterschiff an und wurde langsam den Berg hochgezogen, während Guy ihr ungläubig nachsah, etwas sauer da er nicht schnell genug gewesen war. Bald verschwanden Frederike und ihr Gastgeber um die Ecke.
Als ihr Arm müde wurde, ließ sie den Griff los. Sobald der Lastwagenfahrer dies bemerkte, hielt er sein Fahrzeug an, steckte den Kopf aus dem Fenster und sagte “Help you! Help you!”, wobei er gestikulierte, dass Frederike sich wieder am Lastwagen festhalten sollte. Es war eine liebe Geste, vor allem da Frederike sich gesorgt hatte, dass der Fahrer verärgert über das zusätzliche Gewicht sein könnte, dass den Lastwagen noch weiter verlangsamte!
Der Aufstieg nach Munnar war einer unserer Lieblings-Berge der ganzen Reise, und wir sind so froh, dass wir dahin gefahren sind – wir würden es wirklich bereut haben, wenn wir direkt zur Küste gefahren wären. Von unserer ganzen Zeit in den Bergen in Südindien ist die Strecke zwischen Udumalaipettai und Munnar die, die wir anderen Radfahrern am meisten empfehlen würden. Die Straße ist ruhig, die Landschaft fantastisch, und der Steilheitsgrad anstrengend, aber nie zu schwer.
Als wir in Munnar ankamen, hatten wir das erste Mal auf unserer Reise Probleme, ein Zimmer zu finden. Alles war ausgebucht! Es war ein Feiertag in Indien, und es waren auch viele ausländische Touristen im Ort. Am Ende fanden wir aber dennoch ein Gasthaus und ein nettes Restaurant. Im Restaurant sammelten sich alle Kellner um unsere Fahrräder, um sie zu begutachten. Eine Gruppe von Jungen probierte unsere Klingeln aus und gab uns das Daumen-hoch Zeichen durch’s Fenster. Andere Inder fragten uns über unsere Route aus und versuchten zu verstehen, wie unsere vorderen Satteltaschen angebracht waren. Wenn man viele Leute treffen will, ist das Reisen auf einem komisch aussehenden Fahrrad sehr zu empfehlen!
Am folgenden Tag ging es für die ersten 50km bergab, und wir übernachteten in einem sehr schicken Hotel (die günstigeren waren alle ausgebucht), bevor wir zurück an die Küste und nach Kochi fuhren. Wir freuten uns auf die Küste, da das Radfahren dort einfacher sein würde und da wir dann auch die berühmten Gewässer Kerala’s erkunden könnten, was unserem Reiseführer zufolge eines der 10 Dinge ist, die man machen sollte, bevor man stirbt. Wir sind schon gespannt…