Die letzten Tage vor Istanbul
Kurz nachdem wir Vize verlassen hatten, sahen wir die ersten Radtourer seitdem wir die Donau verlassen hatten. Es waren zwei junge Schweizer, die ca. 50km voneinander entfernt fuhren, da sie sich in Istanbul zerstritten hatten. Sie waren auf dem Weg nach Rumänien, und so konnten wir ihnen einige Tips über die Route geben.
Vormittags hielten wir in einem kleinen Dorf an, um eine Pause zu machen. Außerhalb der Dörfer gab es nicht viel Schatten, und so fanden wir ein schattiges Plätzchen, um etwas kaltes zu trinken und etwas zu essen. Wir wollten etwas versteckt sein, da wir uns schuldig fühlen, wenn wir im Ramadan vor den Leuten essen und trinken. Allerdings standen nach ein paar Minuten ca 10 Leute um uns herum, und eine der Frauen lud Frederike ein, in ihrem Garten Tomaten und Paprika für uns zu pflücken. Der einzige Englisch-Sprecher im Dorf wurde gefunden, ein junger Mann, der gerade fertig studiert hatte. Er zeigte uns das Dorf und den Wochenmarkt, bevor wir uns verabschiedeten und weiterfuhren.
Mittags wollten wir aber wirklich einen ruhigen Platz haben, so dass wir in Ruhe essen konnten, ohne uns schuldig zu fühlen, während alle anderen die Hitze ohne Essen oder Trinken aushalten. Wir fanden den perfekten Platz mit etwas Schatten unter einem Baum in einer Weide. Sobald wir die Fahrräder abgestellt hatten, hörten wir allerdings Hundegebell und Kuhglocken, und ein Kuhhirte kam durch die Büsche auf uns zu. Er schüttelte unsere Hände und bot uns Zigaretten an (die wir aber ablehnten), bevor er wieder verschwand. Als wir uns hinsetzten, um zu essen, kam er aber wieder zurück, mit noch einem zweiten Kuhhirten. Sie setzten sich zu uns in den Schatten. Wir boten ihnen etwas zu essen an, aber natürlich fasteten sie und konnten das Essen nicht annehmen. Wir aßen dann vor ihnen, was uns etwas unangenehm war, aber es schien ihnen nicht auszumachen. Wir konnten nur mit ein paar türkischen Worten kommunizieren, und unser Point It Büchlein half uns auch nicht weiter, da die Kuhhirten nicht gut sehen konnten. Sie waren aber sehr freundlich, und obwohl sie sehr arm aussahen, boten sie uns trotzdem alles an, was sie hatten, was in diesem Fall eine Zigarette und ein paar frisch gepflückte Haselnüsse waren.
Kurz danach fuhren wir einen Hügel hoch. Guy war vorne und schaute auf die Straße direkt vor ihm, während er sich auf die Steigung konzentrierte. Auf einmal sah er ein paar Füße am Straßenrand stehen. Daneben schwang eine Tüte, und darin die unverwechselbare ovale Form – ja, schon wieder eine der gefürchteten Wassermelonen. Aber nicht irgendeine Melone, sondern ein 8 kg schweres Monster. Der Schenker war ein netter Universitätsprofessor aus Istanbul, der gesehen hatte, wie wir uns in der Hitze abstrampelten und entschieden hatte, uns eine Melone und etwas Brot zu schenken.
In sportlicher Laune befestigte Guy die Wassermelone hinten auf dem Fahrrad und war ein paar Kilometer später völlig fertig, so dass wir am Straßenrand für eine kurze Pause anhalten mussten. Ein Honigverkäufer bemitleidete uns und bot uns an, ein Nickerchen zu machen, da er eine Decke und einige Kissen im Schatten ausgebreitet hatte. Wir lehnten dankend ab, da es langsam spät wurde. Es musste für ihn wohl ziemlich lustig aussehen, wie wir uns in der Hitze mit der Wassermelone abmühten.
Wir wussten, dass es jetzt bis Istanbul keine größeren Orte geben würde, und daher mussten wir campen. Normalerweise macht uns das nichts aus, aber in der momentanen Hitzewelle ist es nicht besonders angenehm, zu campen ohne Zugang zu Wasser zu haben. Da es spät wurde, hielten wir in einem Dorf an, um zu sehen, ob es dort die Möglichkeit zum Campen gab. Wir tranken einen Tee und sprachen mit einem Mann, der Englisch konnte. Wir fragten, ob wir im Dorf campen könnten, und er sagte, dass wir überall in der Umgebung campen könnten, oder vielleicht auf dem Basketballfeld. Das Dorf schien Wasser mit besonderen Qualitäten zu haben, denn es gab eine riesige Schlange von teuren Autos, die am Wasserhahn anstanden, um ihre Kofferräume mit großen Wasserflaschen zu füllen. Anscheinend kommen die Leute aus Istanbul, um im Dorf Wasser zu holen, da es gut für den Magen ist. Wir entschieden, stattdessen Wasser zu kaufen, da wir nicht so lange anstehen wollten, und gerade als wir losfuhren, fragte uns der englisch-sprachige Mann, was wir vorhatten, und bot uns an, in seinem Garten zu campen. Wir zögerten nicht lange und folgten ihm dann durch das Dorf zu seinem Haus.
Erzoy ist ein Flugzeugtechniker bei Turkish Airlines und hat ein schönes Haus am Rand des Dorfes, mit einem schönen Rasen, auf dem wir campen konnten. Wir stellten unsere Zelte auf, und bald erschien ein Tisch und ein paar Stühle, mit einem Teller voll Wassermelone. Andere Dorfbewohner erschienen am Zaun, um uns zu begrüßen. Anscheinend war es das erste Mal, dass ein Australier und eine Neuseeländerin (Di) im Dorf übernachteten.
Gerade als wir unser Abendessen kochen wollten, wurde uns ein Teller mit gefüllter Paprika und gerösteten Tomaten gebracht. Dann spendete uns die Nachbarin etwas Baklava und noch mehr Wassermelone. Nach dem Essen sahen wir wie unser Gastgeber im Garten einen großen Samovar bereitstellte, aus dem bald viel Rauch und Flammen herauskamen. Es war ein beeindruckendes Spektakel! Wir wurden zum Tee eingeladen, und bald kamen die Nachbarn dazu, sowie weitere Freunde und Familie, bis wir ungefähr ein Dutzend Leute waren. Wir verbrachten einen lustigen Abend und gingen gegen Mitternacht ins Bett.
Am nächsten Morgen waren wir in einer heiklen Situation. Unser Gastgeber hatte keine Toilette erwähnt, aber wir wussten, dass es eine in der Moschee gab, die etwa 500m weit weg war. Guy musste dringend auf’s Klo, und die Moschee fühlte sich so weit weg an wie Mekka. Sobald wir aufgestanden waren, sprangen wir auf die Fahrräder und fuhren so schnell wie möglich zur Moschee. Einige der Dorfbewohner waren schon wach und schauten uns ungläubig nach, als wir durch die leeren Straßen rasten. Hühner rannten in alle Richtungen als wir um die letzte Ecke kamen. Guy sprang schon fast vom Rad bevor es anhielt und rannte gleich auf die Toilette, während er hoffte, dass ihn der Imam nicht aufhalten würde. Wir sind noch nie so schnell zu einem religiösen Gebäude gerannt, wahrscheinlich glauben die Dorfbewohner jetzt, dass alle Australier extrem gläubig sind.
Wir fuhren früh in Richtung Bosporus weiter. Wir erwarteten viel Verkehr, aber der größte Teil der Strecke war überhaupt kein Problem. Es gab nur eine Gegend, in der gerade eine Autobahn gebaut wurde, die parallel zu der Straße, auf der wir fuhren, verlief. Das bedeutete, dass Dutzende von Lastwagen auf unserer Straße unterwegs waren, die von der Baustelle hin und her fuhren. Es war nicht sehr angenehm, aber die Lastwagenfahrer gaben uns genug Platz, und ein Ladenbesitzer lud uns zur Stärkung auf einen Tee ein.
Für den größten Teil des Tages fuhren wir in einer dicht bewaldeten Gegend mit vielen Hügeln. Es sah nicht gerade so aus, als ob wir in der Nähe der fünftgrößten Stadt der Welt wären, mit 13 Millionen Einwohnern. Als wir am Nachmittag einen Berg hochfuhren, redeten wir darüber, wie toll es wäre, wenn jemand anhalten und uns ein Eis oder ein kaltes Getränk geben würde. Kurz danach sahen wir einen Mann am Straßenrand winken. Er hielt einen Plastikbecher und eine Flasche Wasser hoch. Wir hielten an und er gab uns das eiskalte Wasser. Wir fühlten uns wie auf der Tour de France! Wir hatten keine gemeinsame Sprache, aber diese kleine Geste hob unsere Laune beträchtlich.
Etwas später kamen wir um eine Ecke, und auf einmal sahen wir den Bosporus vor uns. Es war zauberhaft. Wir waren recht hoch in den Hügeln und konnten die Schiffe sehen, die durch den Bosporus vom Schwarzen Meer zum Marmara-Meer fuhren. Asien war auf der anderen Seite, und der Vorort Sarayer direkt unter uns. Wir hielten gleich in einem kleinen Cafe mit einem schönen Ausblick an, um etwas zu trinken und den Augenblick zu genießen. Wir bemerkten auch ein kleines Stück Rasen neben dem Cafe und redeten darüber, wie perfekt es zum zelten wäre.
Bald kam der Cafe-Besitzer herüber, um sich mit uns zu unterhalten. Er sprach sehr gut Deutsch, da er lange in Deutschland gelebt hatte, und er mochte Deutschland sehr gerne. Wir fragten ihn, ob es in der Nähe Hotels gab, aber anscheinend gab es nur ein Luxushotel, was wir uns nicht leisten konnten. “Warum schlaft ihr nicht einfach hier?”, sagte er zu Frederike. “Du bist Deutsch, daher bist Du wie mein Nachbar. Ihr seid meine Gäste.” Bingo! Wir nahmen sein Angebot dankend an und bauten bald unsere Zelte auf, während wir immer wieder Pausen machten, um die Aussicht zu bewundern. Murat lud uns auch ein, mit ihm und seiner Familie die Ifta-Mahlzeit zu essen, die man kurz nach Sonnenuntergang isst, um das Fasten zu brechen. Er ließ uns auch seine Dusche benutzen. Wir redeten dann noch lange mit ihm, seinem Bruder und dessen Frau, während wir über die glitzernden Lichter von Istanbul hinüber schauten.
Unser Plan war, vor Sonnenaufgang aufzustehen und die letzten 30km ins Zentrum von Istanbul vor der Hauptverkehrszeit zu fahren. Wir erwarteten ziemlich starken Verkehr und eine unangenehme Fahrt. Wir fuhren los, als es noch dunkel war, und es gab am Anfang überhaupt keinen Verkehr. Nur ein paar wilde Hunde, die uns anbellten. Wir fuhren auf einer kleinen Straße direkt am Bosporus entlang, wobei wir die Sonne über Asien aufgehen sahen, und die Angler bestaunten, die schon lange wach waren.
Es ging durch die reichen nördlichen Vororte von Istanbul, an vielen Cafes und einer Promenade vorbei. Gegen 7 Uhr gab es etwas mehr Verkehr, aber die Fahrer waren respektvoll und wir genossen die schöne Fahrt ins Stadtzentrum. Als wir an der Galata Brücke ankamen, war es Zeit zu feiern. Wir baten einen Angler, ein Foto zu machen, und verbrachten die nächsten 3 Stunden damit, in einem Cafe zu sitzen und die Atmosphäre zu genießen, bevor wir über die Brücke fuhren und unser Hotel fanden.
Wir wollen hier für 12 Tage bleiben, bevor wir in Richtung Osten weiterfahren. Mehrere Freunde werden zu Besuch kommen, und auch Frederike’s Vater, so dass wir sicher hier viel Spaß haben werden. Di fliegt nächste Woche zurück nach England. Wir sind mit ihr seit Budapest zusammen gefahren, und haben uns sehr gut verstanden. Es wird komisch sein, wenn sie nicht mehr hier ist, und ihr kleines Zelt nicht mehr neben unserem steht.