Der Mereenie Loop per Fahrrad
Alice Springs – Kings Canyon
Es gibt zwei Möglichkeiten, von Alice Springs nach Uluru (Ayer’s Rock) zu fahren: Die meistgewählte Route ist auf einer Teerstraße, wobei man dann auf der gleichen Straße wieder zurückfahren muss, mit der Option, einen Umweg nach Kings Canyon zu machen. Die andere Möglichkeit ist die Mereenie Loop Straße. Dies ist eine landschaftlich interessantere 700km Route nach Uluru, die auch über Kings Canyon führt, und bei der man nicht die gleiche Straße zweimal fahren muss.
Der Haken ist, dass eine 140km lange Strecke auf der Mereenie Loop Straße ungeteert ist. Sie ist eigentlich nur für Geländewagen geeignet, da sie bekannt für ihre Rillen und sandige Flussbetten ist. Diese Strecke liegt inmitten einer 230km langen Lücke zwischen Wasserstellen, für die wir ca 3 Tage benötigen würden. Da die Mereenie Loop Straße auf Aboriginal Land ist, braucht man eine Erlaubnis, um die Straße zu benutzen, und Zelten ist verboten.
“Die ungeteerte Straße ist oft weich und langwierig mit einigen 200m langen Sandstrecken und […] Kilometern von knochenzerrüttelnden, Zahnfüllungen-lockernden Steinen. Igitt.” – Cycle Trails Australia
“Ihr werdet 10mal so dicke Reifen brauchen. Es ist sandig und ihr werdet wahrscheinlich die meiste Strecke zu Fuß gehen müssen. Ihr werdet sicher nicht mehr als 20km pro Tag schaffen.” – Grauer Nomade, der gerade mit seinem Geländewagen vom Mereenie Loop kam
Nachdem wir das Für und Wieder der beiden Routen erwägt hatten, machten wir die vernünftige Entscheidung, auf der Teerstraße zu bleiben und Kings Canyon zu überspringen. So kauften wir genügend Essen für die 5-tägige Fahrt nach Uluru, tauschten unsere alten Hinterreifen für neue dünnere Reifen aus, die besser für die Teerstraße geeignet waren, und packten unsere Sachen. Wir waren wunschlos glücklich bis wir einen jungen Deutschen trafen, der den Mereenie Loop gerade in einem geborgten Auto gefahren war und meinte, dass es per Fahrrad machbar wäre.
Mit der vollen Absicht, trotzdem auf der Teerstraße zu bleiben, schliefen wir ein.
8 Stunden später wurde Guy davon aufgeweckt, dass Frederike flüsterte: “Guy, schläfst Du noch? Ich glaube, wir machen einen furchtbaren Fehler. Was werden wir denn später denken, sagen wir mal nächstes Jahr, wenn wir darauf zurückblicken, dass wir den einfachen Weg gewählt und Kings Canyon verpasst haben? Sicher, der Mereenie Loop wird viel schwerer sein und vielleicht schaffen wir es nicht, aber es ist doch viel interessanter. Sollten wir es nicht wenigstens versuchen?”
“Ok,” murmelte Guy und schlief wieder ein. Damit war unsere Entscheidung getroffen. Wir würden den Mereenie Loop in Angriff nehmen.
Wir rechneten aus, dass wir ungefähr 5 Tage bis Kings Canyon brauchen würden, so dass wir bereits genug Essen eingekauft hatten. Ein paar Stunden später verließen wir Alice Springs, um auf dem Weg die West MacDonnell Ranges zu erkunden. Das Terrain war recht hügelig aber landschaftlich sehr schön, und wir fanden einen guten Platz für unser Zelt in einem ausgetrockneten Flussbett.
Wir hatten nicht viel Zeit für Umwege eingeplant, aber die eine Schlucht in den West MacDonnells, die wir wirklich sehen wollten, war Ormiston Gorge, die uns viele Leute empfohlen hatten. Sie war wirklich sehr hübsch, der Campingplatz dort war allerdings nichts Besonderes.
Da Andrew und Theres am gleichen Tag wie wir losgefahren waren und die gleiche Route gewählt hatten, hatten wir sie schon ein paar Mal auf dem Weg gesehen und trafen sie wieder bei Ormiston Gorge. Um uns eine bessere Chance zu geben, den Mereenie Loop zu schaffen, hatten wir sie gebeten, uns auf dem Weg einen Wasserkanister zu verstecken. Die einzige Orientierungshilfe auf den “wasserlosen” 230km war eine Abzweigung zu einem Aboriginal Dorf in 90km. Wir vereinbarten, dass sie das Wasser dort für uns verstecken würden, wobei sie die Stelle durch etwas Toilettenpapier im Gebüsch markieren würden.
Unsere Erlaubnisscheine erstanden wir beim Glen Helen Resort für die Summe von $3, obwohl es für alle Anwesenden recht offensichtlich sein musste, dass wir planten, die “kein Zelten-Regel” zu brechen, da wir natürlich nicht die ganze Strecke an einem Tag bewältigen konnten. Glen Helen war der letzte Ort, an dem wir Wasser bekommen konnten. Allerdings würden wir unsere Wasserflaschen noch einmal von Andrew und Therese auffüllen lassen, die bereits ihr Zelt 20km weiter bei Redbank Gorge aufstellten.
Als wir bei Redbank Gorge ankamen, hatten Andrew und Therese bereits ein wärmendes Feuer gemacht und bereiteten eine Eimerdusche mit Wasser vor, das von ihrem Motor geheizt worden war. Zu unserer Freude kochte uns Therese sogar etwas (Nudeln mit Meeresfrüchten!) und machte einen letzten Schokoladenpudding. Es war toll, noch einen Abend mit unseren neuseeländischen Freunden zu verbringen.
Morgens waren unsere Zelte gefroren. Als wir unser Geschirr spülten, gefror das Wasser an unseren Tellern und Tassen sofort, bevor wir die Möglichkeit hatten, es abzutrocknen. Der Mereenie Loop ist auf über 800m Höhe, so dass die Tage zwar warm, die Nächte aber eiskalt sind.
Da wir wussten, dass das Ende der Teerstraße nahe war, hatte Guy unsere Hinterreifen wieder gegen unsere alten Reifen ausgetauscht, die zwar abgewetzter waren, aber dennoch ein besseres Profil als unsere neuen Reifen hatten. Nach einer Stunde bekam Frederike’s Hinterreifen allerdings plötzlich eine große Beule. Vor einiger Zeit hatten wir in einer Gegend gezeltet, in der viel Asche auf dem Boden war. Wir mussten den Reifen wohl auf einer heißen Stelle gelassen haben, denn danach hatte er eine kleine, aber kaum merkliche Beule bekommen. Zum Glück hatten wir die Stelle mit Klebeband verstärkt, denn sonst wäre der Reifen geplatzt. Nun mussten wir ihn wieder gegen einen der neuen dünnen Reifen auswechseln – nicht gerade ideal für die sandige Straße, die vor uns lag.
Wir hatten jeder 12l Wasser dabei, die das Gewicht unserer Fahrräder merklich erhöhten. Als die Teerstraße endete, ließen wir den Druck in unseren Reifen herunter. Das Radfahren auf der ungeteerten Straße war schwierig, da das Lenken der schweren Fahrräder auf den quergelegenen Rillen, Sand und Steinen recht heikel war. Meist konnten wir irgendwo auf der Straße eine Spur finden, auf der wir fahren konnten, auch wenn sie auf der falschen Straßenseite war. Es ging allerdings nur langsam voran und wir waren froh als wir Therese und Andrew’s Wasserkanister erreichten, als die Sonne unterging.
Wir sahen das verräterische Toilettenpapier an einem Busch und waren erleichtert als wir den 10l Wasserkanister fanden. Dort waren sogar auch zwei Schokoladenriegel drin! Ein paar hundert Meter weiter fanden wir einen Platz für unser Zelt. Leider stellte sich später heraus, dass wir den Ruheplatz eines Bullen eingenommen hatten, der davon nicht beeindruckt war. Allerdings waren wir zu müde, noch umzuziehen, und nach einigem Stampfen und Schnauben verzog er sich.
Dank unserer Wasserlieferung hatten wir nun mehr als genug Wasser für die restlichen zwei Tage Radfahrt. Wir brauchten ca 6l Trinkwasser pro Tag (zusammen) und 4l für jede Nacht, die wir zelteten. Viel Konzentration war notwendig, um die sandige, steinige und gerillte Straße zu bezwingen, und uns wurde es etwas langweilig, die ganze Zeit auf die Straße vor uns zu starren anstatt die Landschaft zu genießen. Unsere Schultern und Knie taten weh vom Gewicht der Fahrräder, und durch die raue Straßenoberfläche fühlten wir uns oft wie in einer Waschmaschine.
Obwohl wir nun in einer entlegenen Gegend waren, sahen wir immer noch ca 20 Autos pro Tag. Meist kündigten sich die Autos durch eine große Staubwolke an, so dass wir sie schon aus weiter Entfernung sehen konnten. Nicht alle Autos hatten aber Staubwolken, dieses hier fuhr nirgends mehr hin. Da die Abschleppkosten hier extrem hoch sind, ist manchmal das Aufgeben des Autos die einzige Option.
Als wir einen Hügel hochfuhren, verlangsamte ein Geländewagen seine Fahrt und der Fahrer rief:
“Ihr mögt doch wohl keine Schweizer Schokolade, oder?”
Der Fahrer war Patrick, ein Freund von Andrew und Therese, der von ihnen instruiert worden war, sich um unser Wohlergehen zu kümmern, falls er uns unterwegs sah!
Etwas später sahen wir ein weiteres Beispiel dafür, dass die Dinge hier im Northern Territory etwas anders laufen. Hier ist ein Beispiel für die ungewöhnlichen Straßenschilder, die Autofahrer vor einer scharfen Kurve warnen: Erstmal “Fuß hoch”, und dann “Fuß wieder runter”.
Wegen des vielen Regens war die Straße beschädigt worden und nun waren Bauarbeiten im Gange. Wir hatten Glück dass 40km der Straße gerade gewalzt worden waren, so dass die Oberfläche viel glatter war als der Rest der Straße. Ohne diese “Bonus-Kilometer” hätten wir sicher Probleme gehabt, den ganzen Mereenie Loop in den geplanten 3 Tagen zu schaffen.
Überall entlang der Straße hatten wir Fußspuren von Kamelen im Sand gesehen. Manche waren riesig, fast so groß wie ein Teller, während andere daneben viel kleiner waren. Endlich sahen wir eine Familie von drei Kamelen, die parallel zur Straße liefen – ein riesiges männliches Kamel, gefolgt von einem weiblichen und dann einem jungen Kamel. Wir konnten ein paar Fotos machen bevor sie über einen Hügel davonflohen.
Kamele waren ursprünglich mit den Afghanen nach Australien gekommen, die die Ghan Zuglinie durch die Wüste bauten. Sie waren dann von vielen Expeditionen benutzt worden, und um Nahrungsmittel zu entlegenen Farmen zu transportieren. Da sie gut an die trockene Umgebung angepasst sind, gibt es inzwischen viele wilde Kamele in Australien, und wir haben letztens gehört, dass Australien nun sogar Kamele nach Saudi Arabien exportiert!
Gerade als es Zeit zum Zelten war, machte Frederike’s Fahrrad auf einmal beunruhigende Geräusche. Eine kurze Untersuchung zeigte, dass eine der Schrauben am Gepäckträger abgebrochen war. Die ruckelige Straße und schwere Beladung des Gepäckträgers hatte sein Opfer gefordert. Zum Glück hatten die Fahrradingenieure diese Situation vorausgesehen und dafür ein zweites Loch gebohrt, so dass wir nur den Gepäckträger etwas verschieben mussten und dann mit einer neuen Schraube befestigen konnten.
Nachts waren wir total alleine. Zwischen Einbruch der Dunkelheit um 18 Uhr und 8 Uhr morgens kam kein einziges Auto vorbei. Es gab keine Dörfer oder Farmen in der Nähe und keinen Handyempfang. Wir genossen die Chance, einmal dieses Gefühl zu haben, ganz alleine zu sein, und saßen eine ganze Weile an unserem kleinen Feuer unter den Sternen in dieser riesigen Leere.
Die Straße verschlechterte sich noch mehr und war für die letzten 30km wirklich schrecklich, und es gab keine Möglichkeit, der unebenen Oberfläche zu entkommen. Wir hatten nur die Wahl, entweder mit 3 km/h auf den tiefen Rillen entlangzurattern, die die ganze Breite der Straße bedeckten, oder die sandigen Seiten der Straße zu riskieren, die von teils handbreitem Sand bedeckt waren.
Plötzlich war die Straße wieder geteert – eine echte Überraschung, da wir dies erst später erwartet hatten. Wir fühlten uns ziemlich selbstzufrieden, dass wir es geschafft hatten, pumpten die Reifen auf, rasten einen Hügel hinunter und genossen die schnelle Fahrt auf der guten Teerstraße.
Wir trauten unseren Augen kaum als die Teerstraße nur einen Kilometer weiter schon wieder endete und wir weitere 15km Rillen vor uns hatten, und so ließen wir die Luft wieder aus den Reifen und fuhren entschlossen weiter – nun fühlen wir uns nicht mehr so selbstgefällig.
Diese Gegend in Australien ist normalerweise als das “Rote Zentrum” bekannt, aber wegen des vielen Regens sieht sie dieses Jahr eher wie das “Grüne Zentrum” aus. Überall entlang der Straße wachsen saftige wilde Melonen. Wir waren uns nicht sicher, ob sie essbar waren, aber sie sahen sehr lecker aus.
Bald danach kamen wir wirklich auf der Teerstraße an und sausten die letzten 10km nach Kings Canyon.
Als wir beim Kings Canyon Resort ankamen, waren wir glücklich und stolz, dass wir den Mereenie Loop besiegt hatten, und mit nur wenig Schaden an den Fahrrädern und uns selbst. Uns war nun aber auch klar, dass uns ungeteerte, gerillte Straßen auf einem vollbeladenen Tourenfahrrad nicht viel Spaß machten. Es ist zwar ok, um an einen besonderen Ort zu gelangen, aber uns gefällt es besser, das Radfahren und die Landschaft zu genießen. Das ist ziemlich schwierig, wenn man sich so darauf konzentrieren muss, sein Gleichgewicht von einer Rille zur nächsten zu halten.